Jürgen: Herzlich willkommen zur „Frankenjura-Dude-Rockshow“. Ich begrüße einen echten Hamburger Jungen, der über das Wandern nach einem abgesagten Tauchurlaub zum Klettern fand. Wir erfahren, warum er den Schulsport ziemlich mittel empfunden hat, aber das Klettern im Weserbergland ein Feuer in ihm entfachte. Auch das Klettern an Brücken faszinierte ihn, was bei der hiesigen Polizei keinen Anklang fand. Ich bin gespannt, warum ein Projekt zum experimentellen Menschenbild mit einem Brückensprung endete und wie er die Liebe zur Fotografie entdeckte. Er wurde zum stärksten Kletterer Hamburgs. Da mussten natürlich auch alpine Erfahrungen her. Der Eiger und das Matterhorn waren einige seiner alpinen Ziele. Die Nordwände waren auch nicht vor ihm sicher. Weiter entfernte Klettergebiete Deutschlands und Europas mussten entdeckt werden. Portugal, Frankenjura, Pfalz, alle wichtigen Gebiete in Frankreich und auch Norwegen. Ich bin gespannt zu erfahren, warum norwegische Cowgirls manchmal melancholisch sind und wie dies mit einer fantastischen Erstbegehung zusammenhängt. Diavorträge, das sind altertümliche Vorgänger von PowerPoint-Präsentationen, gaben ihm die monetäre Möglichkeit, auch eindrückliche Erlebnisse auf der anderen Seite des großen Teichs in den USA zu sammeln. Er lieferte lesenswerte Artikel im legendären „Rotpunkt“-Magazin, unter anderem über sein Heimatgebiet mit großartigen Bildern. Aber warum nur ein Artikel? Lasst uns ein ganzes Heft machen. Gesagt, getan. So ist er in der IG „Klettern Niedersachsen“ tätig und hat aus einer losen Blattsammlung zusammen mit dem Redaktionsteam das ultimative, da einzige, norddeutsche Klettermagazin „Der Klemmkeil“ als Redakteur bereichert. Unsere malerische Landschaft und natürlich die Felsen und Routen haben es ihm schon lange angetan. Und so finden wir heraus, wie der Frankenjura ihn in Geiselhaft genommen hat. Und selbst seine Mutter ihn fragte, „wann gibst du endlich auf“? Wir begrüßen einen wachen, interessierten Geist, der sehr konsequent in allen Lebensbereichen seine Ziele verfolgt. Mit ihm redet man nicht nur, sondern Pläne werden gegen alle Widerstände durchgezogen. Er ist ein Motivationswunder, sehr reflektiert, leidenschaftlich, redegewandt und voller Energie wie der Duracell-Hase. Ein herzliches Willkommen an Mathias Weck. Mathias, grüß Dich.
Mathias: Grüß Dich, Jürgen. Vielen Dank für die Einladung.
Jürgen: Ich freue mich, dass du da bist. Das war jetzt mal so ein kleines Intro über deine Kletterkarriere. Aber wo bist du denn eigentlich aufgewachsen?
Mathias: Ich komme aus Hamburg. Und an der Stelle erst vor allem noch mal ganz herzlichen Dank für Deine tollen und inspirierenden Podcasts. Ich höre Sie immer auf den langen Autofahrten. Ich muss sagen, ich habe Sie alle inzwischen gehört. Ich habe aus jedem etwas für mich mitgenommen.
Jürgen: Tatsächlich?
Mathias: Sei es von Norbert Sandner, der berichtet hat über den alternden Kurt Albert, dem es unangenehm war, überhaupt noch an Felsen zu klettern, wo ihm andere zusehen. Uns alle trifft das Altern irgendwann. Auch meine Leistungskurve geht steil nach unten. Und manchmal schämt man sich dann, dass man die eine oder andere Route vielleicht nicht mehr so hochkommt. Oder Sebastian Deppe mit seiner wirklich extremen körperlichen Einschränkung, mit dem Klemmen auch in normalen Griffen und so was. Ich finde, man kann aus jedem Podcast etwas mitnehmen. Dafür herzlichen Dank.
Jürgen: Das ist toll. Merci Dir, Mathias. Wie bist du denn zum Klettern gekommen? Wie bist du denn da aufgewachsen? Hamburg habe ich mal erwähnt.
Mathias: Genau. Eigentlich wollten meine Eltern nach Schweden in den Urlaub. Ich hatte mir Taucherflossen und Taucherbrille gekauft. Ich wollte da als 12-, 13-Jähriger in die Seen reinsteigen. Da kommen wir später noch mal drauf. Tauchen hat mich wesentlich später im Leben eingeholt. Aber zu dem Zeitpunkt wurde das einfach alles gecancelt. Es hieß dann kurz vorher, wir fahren in die Berge und nicht an die schwedischen Seen.
Jürgen: Du wolltest eigentlich tauchen gehen?
Mathias: Ich wollte eigentlich tauchen. Dann habe ich gesagt, in die Berge habe ich keine Lust. Da bleibe ich zur Not zu Hause. Ich bin dann zum Glück doch mit. Da wurde gewandert. Irgendwie hat es mich dann gereizt, Stempelheftchen auszufüllen. Und von Hütte zu Hütte zu gehen. Dann gab es noch eine Wandernadel hinterher. Das hat mir dann doch so gut gefallen, dass ich gedacht habe, vielleicht machst du das auch weiter. Vielleicht kann man auch im norddeutschen Flachland Stempel sammeln. Dann landete ich beim Alpenverein. Ich wollte eine Bergzeitschrift abonnieren. Beim Alpenverein gab es dann das Sektionsheft und das Heft aus München. Das für damals, glaube ich, 13 D-Mark. Das war wirklich günstig. Sie hatten dann noch eine Jugendgruppe, von der ich ausging, dass sie alle wanderten. Da hat keiner gewandert, die kletterten alle. Seitdem sammle ich jetzt Schwierigkeitsgrade und keine Stempel mehr.
Jürgen: Also war es sozusagen der Weg über den DAV, der Eintritt eigentlich zum Klettern.
Mathias: Ja, genau. Da gibt es eine recht lustige Geschichte. Das erste Kletterwochenende, wo ich dann endlich mit raus durfte, das war schon auch abenteuerlich, der Weg dahin. Wir haben also selber Klettergurte gefertigt, also einen Brustgurt aus alten Seilresten, und quasi genäht. Also das war alles schon …
Jürgen: Ihr habt es selber gebaut?
Mathias: Ja, genau. Also der war geknotet dann, aber auch genäht. Das war spannend, war eine schöne Zeit mit der Jugendgruppe.
Jürgen: Lass mich kurz fragen, ich weiß noch, wann das war. War das 80er-Jahre?
Mathias: Ja, das war im Herbst 1980. Das ist jetzt für mich also … Ja, Herbst 2025 werden es 45 Jahre Klettern sein. Und … ja. Das ganze Wochenende war irgendwie Regenwetter. Und auf der Ith-Hütte, die hat so einen Dachboden, da wurde damals einfach auf Isomatten geschlafen. Aber es wurde das Wochenende, weil es so regnete, so fürchterlich stark regnete, wurde das ganze Wochenende nicht geklettert, sondern es fand eine sogenannte Ith-Kristallnacht statt.
Jürgen: Lass mich kurz fragen, es ist also tatsächlich so, dass es nicht nur eine Erzählung ist, dass es da so viel regnet?
Mathias: Ja, leider ja.
Jürgen: Okay. Okay, eine Kristallnacht, was ist das?
Mathias: Da wird also ganz fürchterlich viel gesoffen. Da hatte ich noch überhaupt nichts mit am Hut mit meinen jungen 13 Jahren. Und dann werden die leergetrunkenen Bierflaschen durch die Luke im Boden des Ith Hütten Dachbodens runtergeworfen. Und dann macht’s „klirr“, und dann gibt’s da unten einen großen Kristallhaufen.
Jürgen: Okay, das ist wie so ein Polterabend bei Hochzeiten.
Mathias: Richtig, genau. Wenn man nachts auf Toilette muss, sollte man tunlichst aufpassen, dass man da nicht in die Scherben tritt. Aber am Sonntagnachmittag im strömenden Regen hat sich dann Anke Ruth, danke, danke, Anke, wenn du diesen Podcast sehen solltest, Du hast meine Kletterkarriere damals eingeleitet, und hast mich im strömenden Regen den Damenweg, 2-, nachsteigen lassen. Damals mit dicken Bergstiefeln. Wir haben da noch abgeseilt. Und ja, das hat bei mir sofort irgendwie … alles getriggert. Und ich war Feuer und Flamme. Und Ostern 1981 ging’s dann halt richtig los. Da war die erste richtige Gruppenfahrt von der DAV-Gruppe. Und ja, das … hat mir sehr viel Freude bereitet. Und ja, so langsam, nach und nach, bin ich dann die Schwierigkeitsleiter hochgeklettert.
Jürgen: Okay. Ich hab vorhin im Intro gesagt, Schulsport war so Mittel. Warst du denn in der Schule schon einfach sportbegeistert? Und deswegen kam sozusagen das Klettern eigentlich so als logische sportliche Weiterentwicklung?
Mathias: Ganz und gar nicht. Ich war immer der Letzte, der gewählt wurde im Sport. Also wirklich tragisch für einen Jungen. Und ihr kriegt noch Mathias. Oh nein, muss das sein?
Jürgen: Könnt ihr ihn nicht haben?
Mathias: Ja, genau.
Jürgen: Okay.
Mathias: Und da hab ich fürchterlich drunter gelitten. Es gab also auch drei, vier Klassenkameraden, die mich da des Öfteren mal auf dem Schulhof vermöbelt haben. Und das waren also wirklich keine schönen Erinnerungen. Und das Klettern hat dann so plötzlich da einen Schalter umgelegt.
Jürgen: Das ist ja auch Selbstbewusstsein, was man eigentlich leisten kann.
Mathias: Ja, genau. Und da war es halt einfach nicht, dass ich mich mit anderen gemessen habe, sondern ich hab mich mit mir selber gemessen. Und das ist für jeden, der irgendwo eine Route schafft, genauso. Ich mach das auch genauso, wenn ich Freunde mitnehme zum Klettern, die noch nicht geklettert sind, die fragen dann auch, kann ich das überhaupt? Und ich sag, ja, es ist gleich ein Erfolgserlebnis da, ob’s ein Zweier, Dreier, Vierer oder Fünfer ist. Wenn Du es schaffst, hochzukommen, ist die Freude da. Und so ging das dann halt bei mir auch. Und ja, wenn man dann viel klettert, dann kommt die Kraft dann irgendwann von ganz alleine. Und dann irgendwann im Schulsport hieß es dann mal wieder Klimmzüge machen. Und ich glaub, der Klassenbeste konnte so sieben Klimmzüge. Und dann hab ich 15 Klimmzüge hingelegt.
Jürgen: Oh, da steigt man dann aber.
Mathias: Ja, genau. Aber das konnte eigentlich gar nicht sein, dass der Schwächling Mathias da irgendwie 15 Klimmzüge macht. Da wurde dann drüber diskutiert, ob ich die zu schnell gemacht habe.
Jürgen: Oh.
Mathias: Ja, ich glaub, im Gegensatz zu meinen Klassenkameraden, wir werden dieses Jahr, glaube ich, 40-Jähriges haben, aber beim letzten Treffen war’s schon so, da sind wenige noch sportlich dabei. Also, Klettern hält jung. Und wie wir gerade gesehen haben im letzten Interview mit Irmgard Braun, die auch für mich immer noch ein großes Vorbild ist.
Jürgen: Geil, toll. Mit 72 Jahren, Wahnsinn.
Mathias: Ja, auch beeindruckend. Ich hab Irmgard kürzlich gefragt, sagt mal, Irmgard, tut bei Dir nicht auch schon alles weh? Also, ich bin jetzt 58 und irgendwie überall tut’s immer weh. Und sie sagt, nö, bei mir tut nichts weh.
Jürgen: Okay. – Das gibt dir jetzt Hoffnung, ne?
Mathias: Ja.
Jürgen: Sie hatte auch so einen schönen Satz gesagt. „Bleibe oder werde beweglich.“ Also, wirklich die Aufforderung sozusagen, natürlich auch diese Flexibilität ins Training mit einzubauen. Ja, und dann ging’s bei dir praktisch, also, die Anke hat dich mitgenommen. Du hast grad mit leuchtenden Augen von dem Damenweg auch erzählt, was Schönes, weil’s einfach mal weg ist von „Klettern beginnt erst ab dem siebten Grad oder ab dem achten“ oder was es auch immer sein soll.
Mathias: Ja, genau.
Jürgen: Aber während du so weitergeklettert bist, warst du ja auch da mal im Donautal.
Mathias: Ja.
Jürgen: Ja, und ich glaub, da ist was relativ Unerfreuliches passiert. Mit einem Unfall.
Mathias: Ja, genau. Also, muss man vielleicht noch dazu sagen, also, ich bin auf die Waldorfschule gegangen. Das hieß, es war Samstags immer Schule. Und meine Eltern haben das Klettern aber von Anfang an irgendwie immer mit unterstützt. Das heißt, die haben mich sogar in der Schule dann am Samstag Mittag abgeholt und haben mich dann auf der Autobahnraststätte abgesetzt, damit ich dann am Samstagmittag schnellstmöglich ins Weserbergland trampen konnte.
Jürgen: Da bist du dann aufgesammelt worden an der Raststätte und weiter.
Mathias: Am Anfang waren sie natürlich skeptisch mit dieser Tramperei, aber haben das dann so akzeptiert. Und also, Trampen gehörte einfach fest mit zum Programm. Also, für alle, die es nicht kennen, Trampen ist das, wo man den Daumen raushält und dann hält ein Auto an.
Jürgen: Das ist tatsächlich etwas, was man schon wieder mehr erklären muss. Du sagst, es war selbstverständlich eher damals, wie komme ich denn da hin? Und dann war sozusagen Finger raushalten und trampen die Lösung, hat schon ziemlich abgenommen. Du warst immer relativ schnell …
Mathias: Ja, das hat immer geklappt. Samstag Nachmittag war ich dann auf dem Ith. Und genauso ging es dann auch ins Donautal. Und da ich dann zu dem Zeitpunkt, glaube ich, keinen Kletterkumpel hatte, hab ich dann zwei Mädels und einen Kumpel rekrutiert. Und dann sind wir ins Donautal getrampt und haben unser Lager in … Ich weiß gar nicht mehr, wie die Hütte hieß. Also, die war direkt unterhalb vom Felsen da. Und ja, haben dann am Nachmittag die erste Eingehtour da gemacht, irgendwie einen Vierer hoch. Der Wolfgang, der Kumpel, hatte so einen ledernen Schlapphut auf. Und der wurde runtergeblasen vom Felsen. Und ich dachte, okay, der liegt vielleicht entweder unten im Wald oder vielleicht irgendwie auf dem Absatz. Und dann bin ich da irgendwie zehn Meter hoch. Grasiges, brüchiges, moosiges Gelände. Der Hut lag nicht auf dem Absatz. In dem Moment riefen die Freunde schon, wir haben den Hut gefunden. Vermutlich bin ich beim Abklettern irgendwie abgerutscht, oder es ist mir etwas ausgebrochen. Jedenfalls bin ich zehn Meter auf den Boden gefallen. Und es war jetzt nicht so, dass da der innere Film von meinem inneren Auge ablief. Aber es war auf jeden Fall doch ziemlich lebensgefährlich. Ich lag da im Wald und hab nach Luft gejapst. Es war zwar nur ein Pneumothorax, das heißt, da fällt der Unterdruck von der Lunge zusammen. Und du kriegst also keine Luft mehr.
Jürgen: Und das ist ja schon dramatisch.
Mathias: Genau. Der Arzt, der dann kam und den Puls fühlte, sagte, alles in Ordnung. Zum Glück haben die Freunde darauf bestanden und haben dann doch den Krankenwagen gerufen. Und nach einer Nacht auf der Notaufnahme waren sie der Meinung, dass alles in Ordnung wäre, haben mich aufs normale Zimmer verlegt, um am nächsten Tag festzustellen, wir müssen dann doch operieren. Dann hab ich zehn Tage da irgendwie an dieser Maschine gehangen, die dann halt sozusagen künstlich diesen Unterdruck wiederherstellt, damit das dann heilen kann. Lustige Anekdote am Rande. Als der Schlauch dann rausgezogen werden sollte, fragte ich den Arzt dann so, tut das denn nicht weh? „Nein, sie müssen einfach nur ein bisschen husten, dann zieh ich den Schlauch raus, das tut gar nicht weh“. Der zog und ich schrie wie am Spieß, und er sagte, „oh, ist noch festgenäht“.
Jürgen: Oh Gott. (lacht.)
Mathias: Aber nichtsdestotrotz, also, ich hab im Krankenhaus schon wieder Kletterzeitschriften gelesen. Und auch da bin ich meinen Eltern extrem dankbar. Weil die haben mich im Krankenhaus besucht. Das ist schlimm für Eltern, wenn sie einen Anruf kriegen, ihr Sohn liegt auf der Intensivstation.
Jürgen: Weil ja trotzdem Klettern einfach auch als gefährlich eingestuft war.
Mathias: Richtig, genau. Und, ja, also, sie haben mir schon wieder Kletterzeitschriften ins Krankenhaus gebracht und haben gesagt, ja, wir wissen, das war jetzt schlimm für uns, aber wir wissen, dass das für dich dein Lebensinhalt ist und Du das weitermachen wirst. Also, hier bitte lies.
Jürgen: Das haben Deine Eltern schon gespürt? – Ja. Okay.
Mathias: Ja, sie haben mich da immer unterstützt. Und mir sehr viel Freiraum gegeben. Das ging auch in der Schulzeit schon los. In der Waldorfschule hatte ich die zweite Fremdsprache abgewählt, wollte kein Abitur machen. Ich war so ein mittelmäßiger Schüler. Und dann plötzlich irgendwie in der zwölften Klasse kam echt eine Raketenzündung und im Abschusszeugnis war dann irgendwie ein Einser-Durchschnitt. Und ich hab gesagt, ich möchte doch Abitur machen. Dann haben die Eltern gesagt, okay, wir geben Dir auch da die Möglichkeit zu. Vorher hatten sie auch gesagt, wir lassen Dich machen, Du musst nicht Abitur machen. Dann hab ich nachher auf dem Wirtschaftsgymnasium Abitur gemacht.
Jürgen: Ist ein Plädoyer dafür und ein Vertrauen von den Eltern, oder? Dass man einfach wirklich sagt, lass mal, weil er wird das schon selber finden. In dem Fall hat es ja super funktioniert.
Mathias: Ja, also, das kann ich auch jedem Elternteil raten, der irgendwie meint, Helikopter- Mama oder -Papa sein zu müssen. Leute, lasst die Kinder, lasst ihnen freien Lauf. Die entwickeln sich dann schon. Je mehr Freiheit Ihr denen gebt, klar, die fallen auf die Nase, denen passiert auch mal was. Aber on the long run ist das sicherlich der bessere Weg für eine Selbstständigkeit der Kinder.
Jürgen: Du hast gesagt, die lernen denen auch was draus. Jetzt hast du damals den Hut sozusagen von Wolfgang gesucht. Was hast du denn draus gelernt? Was änderst du, dass so was nicht mehr passiert?
Mathias: Also, Soloklettern ist noch nie so richtig meins geworden. Klar, auch ich habe das auch tatsächlich irgendwo mal versucht. War auch so ein Ding der Zeit.
Jürgen: Ja, war total zeitgeistmäß, 80er-Jahre. Musste jeder mal ausprobieren, so ungefähr.
Mathias: Und das war eben halt das höchste und reinste, die höchste und reinste Spielform des Kletterns. Aber ist nie wirklich meins geworden. Vielleicht hängt das auch mit der Anfangszeit zusammen.
Jürgen: Ich glaub, du warst auch mal … Du hast auch andere Sachen ausprobiert. Es gab ja so was damals an Brücken zum Beispiel. Den Kine-Swing beispielsweise. Oder auch den Calpe-swing.
Mathias: Genau. Das war etwas, was auch so ein bisschen Zeitgeist war, ein bisschen zumindest. Dass man sozusagen ein Seil an einer Brücke befestigt hat.
Jürgen: Und, ja, erklär mal, was hat man da gemacht?
Mathias: Genau. Der berühmte Kine-swing sind zwei Autobahnbrücken. Oder zwei Straßenbrücken, die … Ich glaub, in der Nähe von Genf unten, also Richtung Südfrankreich stehen, 50 Meter auseinander. Da spannte man ein Seil zwischen den Brücken, band sich auf der einen Seite ein, sprang dann und hatte dann quasi fast 100 Meter eine Riesenschaukel. Und so was gab’s auch in Spanien. Da hab ich gedacht, das könnten wir vielleicht auch mal machen. Dann haben wir einen Rucksack geworfen und der sauste verdammt nah an dem Brückenpfeiler beziehungsweise der Felswand vorbei. Und da hab ich gesagt, muss nicht sein. Ich hab auch gern Unfallberichte gelesen und dann auch gerne mal aus Fehlern anderer gelernt. Ich glaube, das ist ja das Schöne, wenn man so ein langes Kletterleben hat, dass man am Ende auch darauf zurückblicken kann, auf die ganzen verrückten Abenteuer. Man kann sich freuen, dass man da überhaupt noch am Leben ist. Das ist man dann aber auch nur, wenn man an der richtigen Stelle wusste, dann mal Nein zu sagen. Und ja, da hab ich, glaub ich, großes Glück gehabt. Das ist jetzt auch das Schöne mit dem Podcast hier. Man recherchiert natürlich vorher, was hat man schon so erlebt. Und auf dieses lange Kletterleben zurückblicken zu können und diese Erinnerung wieder rauszukramen, das ist schon was Schönes. Und schade, wenn man das nicht kann, weil man dann doch vielleicht schon sehr früh verstorben ist.
Jürgen: In dem Fall beschlossen habt, dass der Swing nicht unbedingt wichtig ist. Das heißt, ihr habt den Rucksack erst mal als Test runtergeworfen und habt gesagt, nee, ist einfach zu riskant. Hat das Thema Donautal mit reingespielt? Findest du, dass sich da etwas verändert hat von dem Sicherheitsbedürfnis?
Mathias: Ich glaub, das mit dem Donautal, das war noch zu früh im Leben. Da ist das zu schnell schon wieder vergessen worden, dass man mit Angst … dass die Angst mitgeklettert ist. Ich glaube, Angst ist bei mir nie so wirklich mitgeklettert.
Jürgen: Okay. – Mhm. Okay. Es gab ja auch etwas dann nach deiner Schulzeit, was du grad erwähnt hast. Nämlich den Zivildienst. So was hast Du ja auch gemacht. Ich glaub, wir müssen mittlerweile im Jahr 2025 erklären, was ist denn ein Zivildienst. Aber ich geb dir ein Stichwort dazu. Eine Tour, die heißt „Dämmerung“ oder „Crepuscale“. Was hat die denn für eine Rolle? „Dämmerung“ oder „Crepuscale“. Was hat die denn mit deinem Zivildienst zu tun?
Mathias: Ja. (Lachen) Also, Zivildienst lag quasi schon in der Familie, weil mein Vater in, ja, recht frühen Jahren, also, frühen Jahren, also … in den 60ern, ich bin 1967 geboren, bereits den Kriegsdienst verweigert hat. Und zwar nachdem er eigentlich seinen Militärdienst schon abgeleistet hatte. Das hat mich schwer beeindruckt, weil er hätte, glaub ich, noch zwei Wochen warten müssen, dann wäre er damit durch gewesen. Und er hat aber gesagt, nein, ich will da ein Statement mit setzen. Und das war zu der Zeit ein absolutes Unding. Ist ihm auch beruflich ein bisschen um die Ohren geflogen. Er wollte …
Jürgen: Tatsächlich?
Mathias: Ja, Bordingenieur werden bei der Lufthansa. Und die haben dann gesagt, was machen Sie dann, wenn wir Sie einberufen müssen im Kriegsfall? Da können wir Sie leider nicht nehmen.
Jürgen: Tatsächlich? – Ja. Okay, das hat wirklich einen Einfluss auch auf die Karriere gehabt.
Mathias: Genau, ja. Und ich glaub, für uns Kinder war es gut, weil er war immer da und eben nicht unterwegs. Und, ja, aber es hat mich auf jeden Fall irgendwie beeindruckt. Und ich konnte mich natürlich auch darauf berufen dann, also, mein Vater hat schon verweigert. Aber zu meiner Zeit, man musste da auch wirklich einen langen Aufsatz schreiben, warum man eben nicht zum Wehrdienst antreten möchte. Ich hab dann Zivildienst gemacht und hab’s nie bereut. Es war eine wirklich sehr bereichernde Zeit. Ich hab Mobilen Sozialen Hilfsdienst gemacht, habe mich um ältere Menschen, Behinderte gekümmert. Hab auch vielfach Dinge drüber hinausgemacht, was ich nicht hätte machen müssen. Ich hatte eine ältere Dame, die war geistig, also, noch komplett rege, aber fast blind. Mit der bin ich schwimmen gegangen.
Jürgen: Ach, schön.
Mathias: Das gehörte tatsächlich mit zum Programm, das war offiziell. Was dann nicht zum Programm gehörte, war, Abends mit ihr mal ins Konzert zu gehen. Dafür hat sie dann gesagt, pass auf, nächste Woche, du darfst dann auch gerne einen Tag frei machen, du warst mit mir ja im Konzert. Hab ich dann genutzt, in der Zeit hatte ich eine Freundin in Paris und bin dann immer mal ein verlängertes Wochenende zum Bouldern nach Fontainebleau gefahren.
Jürgen: Perfekt.
Mathias: Also, geben und nehmen, das hab ich schon relativ schnell verstanden, dass man erst mal was geben muss, bevor man dann nehmen kann.
Jürgen: Und vielleicht nicht immer sofort aufrechnet, was manchmal in der Zeit ist, weil Du auch gesagt hast, komm, dann geh ich Abends, obwohl das nicht Deine Aufgabe war, mit ins Theater. Ich glaub, Du hast dann auch, so kenn ich Dich jetzt auch, das auch genossen, oder?
Mathias: Ich hab’s auf jeden Fall genossen. Weil jedes Mal, wenn man was gibt, bekommt man auch irgendwas zurück. Und sei es einfach nur die Freude des anderen Menschen. Und, ja, so bin ich auf jeden Fall da zum Zivildienst gekommen. Und dann war … Das war von der Kirche aus organisiert. Und dann war eine Freizeit geplant für die älteren Menschen im Odenwald, für drei Wochen lang. Ich durfte mit als Fahrer, im Kleinbus, um die Herrschaften dann durch die Gegend zu chauffieren. Und alle wussten natürlich, dass ich klettere. Und, ja, dann habe ich natürlich wieder versucht, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Und die älteren Damen hauptsächlich haben mich dann am Nachmittag irgendwo mal klettern lassen. Ich bin dann mit Seil und Jümar los und war dann in der Stiefelhütte, das ist so ein Steinbruch da. Und, ja, da gab’s also eine Route, die war, also, in meinem Beuteschema, 8+/9-, die „Crepuscale“. Und, die hab ich relativ schnell dann mit dem Jümar durchsteigen können. Aber wollte sie natürlich gerne vorsteigen. War nur niemand da.
Jürgen: Aber wer sichert?
Mathias: Ja, wer sichert? Und ich dachte, na, irgendwie muss ich mal gucken, das könnte ja auch für die älteren Herrschaften interessant sein, wenn ich denen mal vorführe, wie das so mit dem Klettern ist. Haben wir sie also alle da in den Steinbruch gekarrt. So, weiß ich, 20, 30 Leute oder so war das schon. Wir sind da also alle hin, das ist ein ebener Fahrweg, und davor ist eine schöne grüne Wiese mit Bänken.
Jürgen: Ah, die konnten dann auch sitzen?
Mathias: Ja, die konnten sitzen.
Jürgen: Mit Bänken sogar?
Mathias: Mit Bänken sogar.
Jürgen: Das ist ja perfekt.
Mathias: Also, wirklich perfekt. Als Erstes hab ich da so eine 6+ Kante geklettert. Und der Pastor, also, mit Gottes Segen, bin ich da geklettert, hat mich gesichert. Also, da gibt’s noch Fotos von, ja. Und, ja, und dann hab ich den Pastor gefragt, ob er mich dann auch einmal kurz in einer etwas schwereren Route sichern würde, und so konnte ich mir dann doch noch den Rotpunkt von der Route da holen.
Jürgen: Perfekt. Ist auch alles gut gegangen?
Mathias: Alles gut gegangen. Ja. Also, es gibt auch Sturzbilder. Also, ich bin für die da dann auch ins Seil reingesprungen, um vorzuführen, dass das ungefährlich ist. Mhm. – Und, ja, ich glaube, wir haben alle einen schönen Tag gehabt.
Jürgen: Ich glaub auch, das ist schon mal ein Erlebnis, oder? Ja, klasse. Also, das ist schon, das find ich schon stark, dass Du das so verbindest sozusagen in dem Fall, das, ja, was sozusagen ein bisschen Pflicht ist, ja, den Dienst, aber dann den so angenehm zu gestalten und die anderen Menschen auch noch mitzunehmen und das auch noch mal. Klasse. Ich geb dir noch ein Stichwort. Du hast vorhin ja vom Wandern erzählt, Hüttenwanderungen war so dein Einstieg. Was fällt Dir denn bei Stubaital und Stichwort Eisklettern ein? Das hast Du, glaub ich, auch ausprobiert.
Mathias: Ja, Eisklettern, das durften meine Eltern nicht wissen.
Jürgen: Oh, okay.
Mathias: Ja. Und deshalb, also, pst, nein. (Lachen) Also, der Kumpel Ingo, mit dem Kumpel Ingo hatte ich eine Hüttenwanderung geplant durchs Stubaital. Und das war die allererste längere Unternehmung außerhalb dieser Wochenendexkursionen, die die Eltern genehmigt haben. Das muss so im Alter von, na, 14, 15 oder so gewesen sein. Also, wirklich ganz, ganz jung noch.
Jürgen: Seid Ihr auch getrampt wieder?
Mathias: Ich glaube, da sind wir mit der Bahn gefahren. Also, war jetzt auch eine längere geplante Tour dann. Und dann haben die Eltern gesagt, also, Hüttenwandern dürft ihr gerne. Ja, das wussten sie selber, die haben uns ja selber mitgenommen. Aber keine Kletter- und Eistouren.
Jürgen: Na, okay. (Lachen)
Mathias: Als Erstes haben wir den Habicht gemacht. Das ist schon so ein bisschen mit Klettern. Und dann, dann das Zuckerhüttel, das ist schon ziemlich eisig. Und, ja, dann hatten wir auch tatsächlich die kompletten Eisgeräte dabei. Also, nicht nur den langen Wanderpickel, sondern auch irgendwie den Lowe Hummingbird Eishammer.
Jürgen: Den habt Ihr aber clever versteckt, dass das beim Packen nicht auffällt.
Mathias: Irgendwie haben wir es so mitgeschmuggelt bekommen, genau. Und, ja, dann muss man auch sagen, also, das ist tatsächlich das erste Mal, dass da so, das war ja noch vor dem Donaultal Unfall, meine ich. Da hätte die Karriere eigentlich schon zu Ende sein können. Wir haben dann zum Schluss so eine Eisrinne gemacht. Und bei der Hüttenwanderung nimmt man keinen Helm mit. Und, ja, irgendwie hat’s dann einen Steinschlag gegeben. Und ich hab’s gar nicht richtig gemerkt, hatte beide Eisgeräte oben, die Beine irgendwie so auseinander, und hörte nur so dieses „pfiu-pfiu-pfiu“ wie vom Steinschlag. Und dann sauste mir ein Stein zwischen den Armen und zwischen den Beinen durch, und es ist nichts passiert. Aber der hätte nur einen kleinen Hupfer machen können. Ohne Helm.
Jürgen: Zehn Zentimeter weiter wegspringen.
Mathias: Genau, da wäre ich sicherlich hin gewesen.
Jürgen: Also da war der Pfarrer und der Beistand auch noch mal da.
Mathias: Ja, genau, ja. Dann kam ich nach Hause und voller schöner Erlebnisse. Und wollte den Eltern jetzt eine ganze Menge erzählen. Natürlich nicht alles. Und wurde mit einem ziemlich bösen Gesicht empfangen. Da dachte ich, oh, was ist denn jetzt los? Und ja, ich hatte Dia Filme gemacht. Also, das sind die, die man so mit dem Projektor an die Wand warf.
Jürgen: Ja.
Mathias: Und habe sie von unterwegs dann schon verschickt. Dann dachte ich mir, wenn ich nach Hause komme, hab ich die Bilder bestimmt gleich vorliegen.
Jürgen: Und deine Eltern haben sie abgeholt?
Mathias: Meine Eltern haben sie schon mal durchgesehen, was der Junge da so macht. Und wussten also genau, was ich da alles angestellt hatte.
Jürgen: Aber war das dann, weil du vorher sagst, deine Eltern haben dich ja auch viel beflügelt und wussten, dass das sozusagen deine große Leidenschaft ist, war das dann so eine Veränderung?
Mathias: Nein. Also, es ist ja nicht immer so gewesen, dass sie … Also, es hat in späteren Zeiten mal einen kleinen Fall gegeben, da hat mein Vater dann nicht nur zwei Tage oder so mit mir geredet, sondern das waren dann schon mal eher so zwei Wochen. Da waren die Eltern im Urlaub. Und mein Vater hat gern mit mir damals mit der Eisenbahn, also der Modelleisenbahn, gespielt. Und dann gab’s eine Eisenbahnplatte, die irgendwie im Jugendzimmer halt unter die Decke gezogen werden konnte. Es fuhr nie ein Zug auf dieser Eisenbahnplatte. Und das war für mich also ein bisschen frustrierend. Aber der Deal war, die Platte bleibt da oben hängen, solange bis du ausziehst. Dafür kauf ich sie dir schon mal ab, dann hast du ein bisschen Geld für deine Kletterausrüstung.
Jürgen: Okay.
Mathias: So. Aber ich hatte mir dann in den Kopf gesetzt, ich brauch eine eigene kleine Trainingswand. Also, nur so einen Überhang. Und na ja, die Eltern waren im Urlaub, ratzfatz war die Eisenbahnplatte abgebaut, hing in der Garage, und als sie dann wieder kamen…
Jürgen: Aber Du hast sie brav dorthin gehängt.
Mathias: Ich hab sie brav dorthin gehängt, ja. Und hab selber Stahlträger zusammengeschweißt. Und das war auch …
Jürgen: Als Unterkonstruktion?
Mathias: Ja, genau. Das war handwerklich sicher eine tolle Leistung. Ich glaub, da waren die Eltern auch stolz drauf. Aber das mit der Eisenbahnplatte, das fand der Vater nicht so gut, dass die abgebaut war. Aber auch das hat er mir verziehen. Ich hab da sehr tolerante Eltern.
Jürgen: Aber tatsächlich auch selber gebaut, die eigene Kletterwand, Wahnsinn.
Mathias: Ja.
Jürgen: Da gab’s nicht die Blaupause, die du hattest, mach ich so, sondern war einfach so eigene Überlegung, wie können wir das machen?
Mathias: Ja, also, das war zu dem Zeitpunkt, da ging’s, glaub ich, mit den kommerziellen Kletterwänden ganz langsam los. In Hamburg hat’s, glaub ich, noch zehn weitere Jahre gedauert, bis da überhaupt was kam. Und das ging dann nachher sogar so weit, als ich dann aus dem Elternhaus auszog mit 24, fragten die Eltern, magst du nicht vielleicht irgendwann mal ausziehen? Und ich sagte, wieso denn? Wir verstehen uns doch gut. Ich sah da keinen Sinn. Ich hatte gerade die Kletterwand noch weiter ausgebaut. Und ja, hab dann eine Lehre als Fotograf angefangen. Und dann sagten die Eltern so, ja, wir würden dich auch so weit mit unterstützen, dass du dein eigenes Auto, was du dir zugelegt hast, in der Zivildienstzeit, weiterfahren kannst, damit du zu den Felsen kommst. Und den Onkel, in dessen Wohnung ich da dann eingezogen bin, hab ich überredet, dass ich noch ein halbes Zimmer dazu bekomme, wo die Kletterwand auch mit hin umziehen konnte. Das war schon ein sehr wichtiger Faktor damals. Ja. (Lachen)
Jürgen: Sehr schön. Also, das war das Eisklettern. Jawohl. Und du hast dann auch, weil du grad Training angesprochen hast und die Kletterwand, ihr habt ja auch an Brücken trainiert?
Mathias: Ja. Also, damit fing’s an. Mhm. – ‚Tschuldigung, du wolltest …
Jürgen: Nee, das war schon. – Okay. (Lachen)
Mathias: Damit fing’s halt an. Also, noch vor der ersten eigenen Kletterwand, dass man sich halt … Also, Hamburg ist halt immer mindestens zweieinhalb Stunden weg gewesen von den ersten Felsen. Und mit dem Trampen hat’s auch nicht jedes Mal so gut geklappt, dass man da so schnell durchkam. Und ja, und dann … Die Leidenschaft war einfach so groß, ich hätte jeden Tag klettern gehen können. Und ja, dann haben wir uns halt Eisenbahnbrücken gesucht, also die Brückensockel, die aus Naturstein gemauert waren. Ähm, natürlich nicht unbedingt mit dem Segen der Bahnpolizei. Haben wir … haben wir da tatsächlich auch Normalhaken reingedroschen in die Fugen und das Ganze dann auch als Erstbegehung gefeiert, mit Routennamen dran schreiben und allem. Und was später irgendwann mal dazu führte, als wir dann mal erwischt wurden, dann hieß es ja unerlaubtes Betreten des Bahndammes. Und, das kostet für jeden fünf D-Mark. Das fanden wir dann nicht so gut. Fünf D-Mark war für uns immer noch viel Geld. Da war nur einer oben, um das Toprope aufzuhängen.
Jürgen: Ihr habt gleich verhandelt.
Mathias: Wir haben gleich verhandelt. Das haben sie uns durchgehen lassen. Da hat einer fünf D-Mark gezahlt.
Jürgen: Also 2,50 für jeden.
Mathias: Ja, das war eher niedlich, ja.
Jürgen: Sind die dann häufiger gekommen und haben das sozusagen mehr überwacht, euer Klettern? Oder war das wirklich einmalige?
Mathias: Also wir sind einmalig da nur erwischt worden, aber, ja.
Jürgen: Okay, ihr hattet auch mal, oder ich hab das im Intro gesagt, da gab’s ein, ich glaub, es war ein Projekt von der Schule aus, experimentelles Menschenbild. Und da spielte auch eine Brücke eine Rolle.
Mathias: Genau, das ist eine ganz lustige Geschichte. Zu dem Zeitpunkt war ich schon in der Fotografenlehre. Und wir haben die Aufgabe von der Berufsschule bekommen, vom Kunstlehrer, ein experimentelles Menschenbild zu fotografieren.
Jürgen: Was immer ich mir auch darunter vorstelle.
Mathias: Ja, das war ja gerade der kreative Faktor. Und ich hab dann meine damalige Freundin aus Paris fotografiert. Da war gerade Hamburger Dom, das ist wie so ein Jahrmarkt, eine Kirmes. Da gab’s ein Spiegelkabinett, da hab ich sie drin fotografiert. Also in Schwarz-Weiß, das waren schon künstlerisch interessante Aufnahmen. Dann hab ich noch Aktaufnahmen von ihr gemacht, oben auf dem Dach des Hauses, über den Dächern von Hamburg. Ich fand, das war schon relativ experimentell. Am Tag, bevor ich abgeben sollte, war die Freundin abgereist nach Paris. Und wie ich dann feststellte, im Nachhinein, sie war wohl mit den Aufnahmen nicht so einverstanden und hatte mir die Negative geklaut.
Jürgen: Oh, ok.
Mathias: Das heißt, das war dann …
Jürgen: Du hattest nichts zum Abgeben.
Mathias: Ich hatte nichts zum Abgeben, es war extremer Zugzwang. Und Carsten Wottke, mein damaliger Kletterkumpel, der war immer gut für extrem kreative Ideen, wo man ein bisschen Abstriche machen musste, weil sonst war die Idee eventuell tödlich. (Lachen)
Jürgen: Also noch mal so ein Backup mit einbauen, ja?
Mathias: Genau, ja. Und dann sagt er dann, spring doch vom Balkon und fotografier dich dabei. Balkon, zweites Stockwerk.
Jürgen: Ich geb’s dann für dich ab.
Mathias: Genau. Und da sagte ich ihm, hm, eigentlich eine gute Idee. Wir müssen es nur ein bisschen abwandeln. Hast du heute Nachmittag Zeit? Wir treffen uns an der Brücke. Ich hab mich aufs Geländer gestellt, mit einem Seil eingebunden, wie der vorhin schon angesprochene Kineswing, so ein bisschen abgewandelt.
Jürgen: Ah, ja.
Mathias: Und wie Bungy-Seil, also unten steht jemand, der wird dann hochgerissen, und der Fangstoß wird relativ weich abgefangen. Ich hab mir dabei eine Kamera vors Gesicht gehalten und hab dann ein, zwei Bilder im Flug gemacht mit Haare stehen hoch.
Jürgen: Du hast noch ein Selfie gemacht mit so einer Kamera?
Mathias: Ja, genau.
Jürgen: Okay.
Mathias: Und der Kunstlehrer stand auf unscharfe Bilder, und genau das hat er bekommen. Und so hatte ich dann eine Eins für ein Bild, was mir eigentlich gar nicht so zusagte. Ich hatte was anderes geplant.
Jürgen: Aber sag mal, das Ding war ja dann wertvoll, deine Kamera? Die darf dir nicht runterfallen?
Mathias: Nee, die muss man schon festhalten.
Jürgen: Hast du die noch mal gesichert am Gurt?
Mathias: Kann gut sein, vielleicht mit einer Schlinge oder so, aber ist mir so nicht bewusst. Es war schon klar, dass ich die nicht loslasse. (Lachen)
Jürgen: Wahnsinn, Wahnsinn. Okay, also das war so in Jesteburg, glaub ich, war diese Brücke. Falls jemand mal in Jesteburg vorbeikommt an der Brücke, da sind experimentelle Menschenbilder entstanden. Sehr schön.
Mathias: Ja, es gibt vielleicht noch einige lustige Situationen. In Hamburg ist dann auch medial so einiges gelaufen. Wir haben irgendwann mal an der Autobahnbrücke in Stillhorn Aufnahmen gemacht für eine Fernsehsendung. Und da kam dann auch die Polizei. Und da hat der Kameramann geistesgegenwärtig nach oben gehalten und hat die Polizisten gefilmt. Und das war dann so richtig typisch deutsch so. „Was machen Sie hier? Wer ist der Verantwortliche? Haben Sie eine Genehmigung?“ (Lachen) Das ist alles mit auf Video. Und das war schon sehr lustig.
Jürgen: Das glaub ich. Okay, dann hast du aber beschlossen, du gehst schon auch mal in die große, weite Welt und bleibst nicht nur an den Brücken. Und ich pick mal da eines raus, weil es gab ja, und es gibt es heute noch, das Alpin-Magazin. Damals noch auch mit dem Andreas Kubin. Und da ist etwas vorgestellt worden, also für mich schon eine legendäre Route. „Lunabong in der Verdonschlucht“.
Mathias: Ja.
Jürgen: Was hat es denn mit deiner Begehung auf sich? Und warum bist du auf Tipp vom Alpin-Magazin und Andreas dahin?
Mathias: Ja, das war … Plattenkletterei war eigentlich immer so das, was ich am besten konnte. Technisch nicht so kraftvoll, aber mit guter Technik. Da konnte ich auch mein Limit immer ein bisschen weiter verschieben. Und ja, im Alpin war ein wunderschönes Bild von dieser Route Lunabong drin. Plattenkletterei von oben fotografiert. Wie wir im Nachhinein feststellen mussten, sind das die einzigen zwei Meter Plattenkletterei. Der Rest ist Handrisskletterei, das meiste ist, glaube ich …
Jürgen: Da ist dann doch was anderes verlangt.
Mathias: Richtig, genau. Und das konnten wir damals definitiv noch nicht.
Jürgen: Jetzt muss man auch noch sagen, das Verdonschlucht ja schon mal was Besonderes ist, wenn du von oben ankommst und runterseilst.
Mathias: Genau.
Jürgen: Das heißt, du musst irgendwie wieder hoch.
Mathias: Richtig. Und das war genau das, was für uns zur Falle wurde. Also, man muss dazusagen, wir sind wieder runter getrampt. Also, vier Tage hat’s gedauert, bis wir da in die Verdonschlucht gekommen sind. Ein Tag durch Deutschland, das ist immer leicht gewesen. Von Autobahnraststätte zu Autobahnraststätte. In Frankreich war’s wirklich hardcore. Da war es mit Trampen wirklich schwierig. Wir haben unter Autobahnbrücken geschlafen, in irgendwelchen Gräben neben der Straße geschlafen. Es war schon ein Abenteuer, da hinzukommen. Aber halt auch Erlebnisse, die so hängenbleiben. Und …
Jürgen: Aber das Einzige, was du hattest, war praktisch wirklich der Bericht von Andreas Kubin. Weil du sagst, da müssen wir hin.
Mathias: Richtig, genau. Und da stand halt drin, prima Eingehtour. Das hab ich ihm dann Jahre später, als er mich mal kontaktiert hat, wegen einiger Pfalz-Kletterfotos, die ihn beeindruckt haben, hab ich mit ihm sehr lange und sehr nett telefoniert. Da hab ich ihm das noch mal unter die Nase gerieben, dass wir da ziemlich eingegangen sind in dieser „Eingehtour“. Weil wir sind so abgeseilt und haben gesehen, oh, das ist ja gar nicht so viel mit Plattenkletterei. Aber haben trotzdem bis aufs Band abgeseilt, wo die Route losgeht. Haben zwei Seillängen uns irgendwie hochgekämpft, haben festgestellt, das geht so ganz und gar nicht, der Tour sind wir nicht gewachsen. Haben gesagt na gut, wir seilen wieder ab und gehen dann gemütlich durch den Canyon zurück. Waren dann auf dem Band wieder, da gab’s sogar rote Markierungen. Haben gedacht, super, gibt’s ja einen Wanderweg, laufen wir nachher schön zurück. Haben sogar noch gebouldert auf dem Bändchen. Dann sind wir diesen roten Markierungen nachgelaufen und stellten nach 20 Metern fest, da geht’s gar nicht weiter, nächster Abbruch. Ich hab noch abgeseilt, ich glaub, auch wieder so 20 Meter. Überhängendes, brüchiges Gelände, da war nichts zu machen, da runterzukommen. Das heißt, ich bin die 20m wieder hochgeprusikt, also wirklich mit Prusikschlingen, war völlig im Eimer. Dann dämmerte es schon und wir haben gesagt, na ja, dann mal los. Versuchen wir mal, ob wir in der Dämmerung da wieder hochkommen. Nach zwei Seillängen waren wir wieder an derselben Stelle und haben auf dem kleinen Bändchen da biwakiert im März. Wer im März mal in Verdon war, das ist da schon richtig klirrend kalt. Nachtfrost und, ja, Carsten hatte wie immer eine kurze Hose.
Jürgen: Kann dir auch passieren, dass Geier über dir kreisen?
Mathias: Ich glaub, nachts kreist da gar nichts.
Jürgen: Nee, die Nacht sicherlich nicht.
Mathias: Aber Sie hätten uns gut hören können aufgrund des Geklappers. Carsten mit langem T-Shirt und kurzer Hose und ich mit kurzärmeligem T-Shirt und langer Hose. Und zum Glück hatten wir damals einen Helm und hatten eine Rettungsdecke oben im Helm mit drin. Und das hat uns die Nacht ein bisschen erträglich gemacht. Wir haben uns da wirklich zusammengekauert, ohne wirklich was zu essen oder zu trinken dabei zu haben. Morgens bei Sonnenaufgang haben wir uns dann weiter durch die Route durchgekämpft und oben am letzten Standplatz kamen dann die ersten Seilschaften, die abseilten, und traten uns auf die Finger, als wir auf diese, ja, das ist so eine Baumwurzel, da irgendwie raufklettern wollten. Und sagten, warum seid ihr auch so dämlich und steigt so früh ein. (Lachen) Ja. Wer mich kennt, weiß, dass ich normalerweise nicht so früh einsteige.
Jürgen: Aber ihr habt mal lieber nix gesagt, sondern ich glaub, ihr wart heilfroh, überhaupt wieder rauszukommen.
Mathias: Ja, wir waren heilfroh, das wir wieder draußen waren und, ja …
Jürgen: Wahnsinn. Also, ich mein, ich fand Verdon auch schon wahnsinnig beeindruckend, aber das macht’s natürlich noch mal extensiver, wenn du dann tatsächlich auch noch biwakieren darfst, mitten in der Schlucht. Das ist schon eindrücklich. Respekt. (Lachen)
Mathias: Das sind die Erlebnisse, an die man sich dann im Alter erinnert und von denen man erzählen kann. Ich möchte das im Nachhinein natürlich nicht missen.
Jürgen: Ich find das auch so schön, wie du sagst, wenn ich was sehe, den Bericht, da müssen wir hin. Ich kenn das genauso auch von mir. So was wie Topo genau anschauen, ist egal. Ich war mit einem Freund auch in der Verdon-Schlucht. Ich war das erste Mal dort, der war schon das dritte Mal da. Ich hab die Autotür aufgemacht, hab das Seil runtergeschmissen an der Abseilstelle und bin runter. Und er … „Welche Tour bist du rein?“ „Ist egal, Hauptsache klettern.“ (Lachen) Ja. (Räuspern) Okay, das war Verdon. Und damit schon etwas größer als sozusagen die Brücke. Aber du hast dich ja nicht aufhalten lassen. Du bist ja so richtig ins Gebirge eingestiegen und hast dort auch drei Nordwände erklommen. Und … lass uns mal anfangen mit einem … Der Eiger, das ist ja schon eine beeindruckende Wand, eine beeindruckende Nordwand. Wie kam die Idee, diese Nordwände zu durchsteigen? Was war da deine Triebfeder?
Mathias: Ja, also … Ich hatte ja schon anfänglich erzählt davon, dass ich über den Alpenverein da zum Klettern gekommen bin. Und ich hab als Jugendlicher quasi jede freie Minute in der Alpenvereinsbibliothek verbracht. Ich hab mich durch die komplette Bibliothek durchgelesen. Nach der Schule immer noch mal beim Alpenverein vorbei, wenn sie denn auf hatte die Bibliothek. Und ja, hab von … Hermann Buhl, „Achttausender drüber und drunter“, Heinrich Harrer, „Die Weiße Spinne“, Eiger Nordwand. Hab natürlich diese ganzen heroischen Geschichten gelesen. Und … Ja, das weckt natürlich Begehrlichkeiten, sag ich mal so. Aber das war ein Alter, da hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich da mal irgendwie hinkomme. Aber diese Bilder sind natürlich im Kopf irgendwie da gewesen. Und … ich hab ja vorhin schon gesagt, dass Bilder mich immer sehr geprägt haben durch die Fotografie auch. Und … dann Reinhard Karl ist so ein Beispiel. Also, die beiden Bildbände, die mich da besonders beeindruckt haben, war das übers Yosemite. Und dann sein Bildband … ich komm grad nicht drauf …
Jürgen: „Kaum Zeit zum Atmen“.
Mathias: Genau, „Kaum Zeit zum Atmen“. Genau, vielen Dank. Und also diese Bilder, die einfach darüber hinausgingen, über dieses Dokumentarische am Berg, sondern die was Künstlerisches damit reinbrachten. Aber natürlich auch diese Geschichten. Also, das, was Reinhard Karl auch so erlebt hatte. Also, das vom Klettern im Mittelgebirge. Das baut einen erst mal auf für die alpinen Wände. Und dann sind’s halt so diese ganz großen Wände. Und dann war es eigentlich … Ja, wie immer so ein bisschen ein Zufall. Ich hatte mit Carsten Wottke wieder einen alpinen Urlaub geplant. Und wir hatten uns für wirklich jedes Gebiet, was wir anfahren wollten, also angefangen beim Wilden Kaiser, haben uns immer so eine … „Top-of-the-List-Route“ gemacht. Wenn’s gut läuft, machen wir die am Ende.
Jürgen: Was war denn im Wilden Kaiser damals die „Top of the List“?
Mathias: „Top of the List“ waren damals im Wilden Kaiser, die Pumprisse.
Jürgen: Pumprisse, ja. Helmut Kiene, alles klar.
Mathias: Und na ja, in jungen Jahren ist man manchmal ja so ein bisschen Größenwahnsinnig. Und dann kam dann irgendwann so … Na ja, wir können uns die ganzen Eingerouten ja auch sparen. Wir können ja gleich mal die großen Sachen angehen. Und das war dann so mit den Pumprissen. Da haben wir auch eine Menge Glück gehabt. Also, wir sind tatsächlich durch die … also, gerade in diesem sogenannten Hundebahnhof da drin gewesen. Also, für die, die’s nicht kennen, das ist der erste Sieben an den Alpen gewesen. Das ist eine Risskletterei. Es ist viel, ja, Hand- und Faustriss dann. Und ein Siebener-Faustriss damals, das war halt … also, echt, das war eine Ansage. Und genau in diesem Hundebahnhof hat uns dann ein Gewitter erwischt.
Jürgen: Jetzt muss man noch sagen, Hundebahnhof kommt aus der sächsischen Kletterei. Richtig, genau. Da kannst du dich so ein bisschen reinstellen.
Mathias: Richtig, ja, aber in dem Fall, wir hatten nur einen Vierer-Friend dabei, der dann immer weiter nach Oben geschoben werden musste. Sonst nur diese großen Hexentrics, die da nicht wirklich halfen. Und das war eigentlich schon beängstigend mit der Absicherung. Und dann wirklich einen Wettersturz da zu erleben. Also, mit Gewitter und mit Hagel. Carsten wieder langarmiges Shirt und kurze Hose. Also, wir haben die letzten beiden Seillängen oben, die noch mal 7- sind, die haben wir, sind wir ausgekniffen, weil es war einfach alles nass, und sind dann durch irgendwie so einen Kamin nach links raus. Aber okay, da war dann schon mal der Grundstein gelegt für, wir nehmen mal gleich die größeren Sachen in Angriff. Und dann waren wir als Nächstes in der Bernina. Und am Ende der Liste stand dann die Piz Rosseg Nord-Ost-Wand, so eine Eiskletterei, 50, 60 Grad oder so. Die haben wir dann auch gleich gemacht, das hat auch dann gleich geklappt. Und ja, dann, ich weiß nicht, ob es Glück oder Pech war, in Chamonix lief dann nichts Großes, weil das Wetter schlecht wurde. Dann fuhren wir an den Gardasee. Und dann bekam Carsten Heimweh und ist dann zu seiner Freundin zurück nach Hamburg gefahren. Und ich hab da einen anderen Kumpel kennengelernt, den Klaus Dethfurth, der leider inzwischen tödlich verunglückt ist. Aber der war halt auch voll aufs Alpine angefixt. Und der sagte auch, ich warte hier nur auf gutes Wetter, dann will ich zurück nach Chamonix. Und dann haben wir uns zusammen getan, zurück nach Chamonix, haben dann tatsächlich mal eine Eingehtour gemacht. In dem Fall war es eine Überschreitung vom Mont Blanc. Wenn man vom Gardasee kommt, das ist ja fast Meeresniveau da, dann ist das schon hoch, da sind wir ganz schön eingegangen.
Jürgen: Also von der Akklimatisation her auch?
Mathias: Also auf die Aiguille Du Midi auf 3900m mit der Seilbahn, dann runter ins Vallée Blanche auf 3700m, dann auf den Mont Blanc du Tacule auf 4200m, dann runter auf 4000m in die Scharte, dann auf den Mont Maudit auf 4400m, runter in die Scharte auf 4200m und dann auf den Mont Blanc auf 4800m. Da waren wir schon ziemlich am Ende, als wir dann an der Biwak-Schachtel ankamen und die Leute uns sagten, hier könnt ihr nicht mehr biwakieren, die Schachtel ist voll.
Jürgen: Die Schachtel ist voll, ja.
Mathias: Dann sagten wir, wir wollen uns nur eine halbe Stunde hinlegen, dann steigen wir auch weiter ab. Wir sind am nächsten Morgen aufgewacht, wir waren so im Eimer. Da ging nichts mehr.
Jürgen: Das ist ein guter Trick, ja. Ich will nur eine halbe Stunde, zack, weg.
Mathias: Aber okay, wir hatten uns akklimatisiert. Dann haben wir gesagt, komm, wir versuchen mal was Größeres. Wir waren, sag mal, haben wir, glaub ich, an der Dru, also egal, wir sind dann Richtung Petit Jorasses hoch, wollten die Petit Jorasses Westwand machen. Es war super Wetter, es war eine andere österreichische Seilschaft da, die hatte dasselbe Ziel, da kamen wir nett ins Gespräch. Und ich natürlich wieder, na, wenn das gut läuft, dann könnte man ja auch den Walker machen. Oder so, und ich dann, na dann kann man es auch gleich machen. Dann haben wir die Petit Jorasses nicht gemacht und haben gleich den Walker gemacht. Und sind da auch ganz gut durchgekommen. Und ja, dann ist es so ein bisschen, hast du eine Nordwand, also es gibt halt drei große Nordwände, Eiger-Nordwand, Matterhorn-Nordwand und den Walkerpfeiler. Und dann ist irgendwie der Ruf da, dann rufen die anderen beiden auch. Und dann habe ich da im Camp in Chamonix, Pierre d’Orthaz, habe ich den Rollo Steffens kennengelernt. Und der hatte auch schon den Walker gemacht und war auch scharf auf den Eiger. Und dann sind wir ein paar Tage später dann gemeinsam zum Eiger gefahren, sind da erst mal, ich will nicht sagen, haben da einen auf die Nuss bekommen, aber wir haben da eine Wand, die irgendwie drei Kilometer breit ist. Und wenn man die Wand vorher noch nie gesehen hat, dann braucht man sich nicht anmaßen, da mitten in der Nacht um drei oder so einsteigen zu wollen. Da findet man einfach mal den Einstieg nicht.
Jürgen: Ich wollte gerade sagen, von der Orientierung her schon. Vorbereitung ist alles.
Mathias: Vorbereitung ist alles. Und dann sind wir irgendwann morgens, wo die Sonne dann hochkam, sind wir umgekehrt, haben festgestellt, wir waren da fast einen Kilometer neben dem Einstieg und sind dann aber wesentlich besser vorbereitet im Herbst wieder hingekommen. Und wenn jemand das anpeilt, wir haben dann die Heckmaier-Route gemacht. Das ist eine Wand, die kann man auf keinen Fall mehr im Sommer machen, weil da ist, durch die Auflösung des Permafrosts haut es da so viel Steinschlag runter. Und wir waren dann Ende September …
Jürgen: Da merkst du auch, dass der Klimawandel schon wirkt.
Mathias: Ja, total. Damals war es wirklich zwei Drittel Eiswand. Auch dann so Wasserfallkamin oder so.
Jürgen: Also ganz andere Kletterei. Mixed-Kletterei, viel Eis mit drin.
Mathias: Ja. Und … Ja, gibt es noch eine lustige Anekdote. Dann muss ich vielleicht noch einmal kurz … zurückgehen zum Abstieg vom Walkerpfeiler. Wir werden das Thema nachher bei der IG-Klettern auch noch mal haben. Damit den Leuten dieser Podcast als der Fäkal-Podcast in Erinnerung bleibt.
Jürgen: Oje, ich bin gespannt. Dann lass mal hören, Mathias.
Mathias: Also im Abstieg vom Walker, die letzten paar hundert Meter zur Hütte, dachte ich, ich würde eine hervorragende Abkürzung nehmen und müsste nicht einmal den ganzen Hang runter und wieder hochlaufen. Ich dachte, ich quere rüber zur Hütte. Dass das keine so gute Entscheidung war, stellte ich dann fest, als ich dann quasi bis zu den Knöcheln in der Scheiße stand, weil …
Jürgen: Verdammt!
Mathias: Weil das Klohäuschen von der Hütte oberhalb war. Bei Plastikbergstiefeln ist das dann keine Freude.
Jürgen: Oh, das ist nicht schön.
Mathias: Ich hab den ganzen Abend gesessen und hab die Stiefel wieder sauber gekratzt.
Jürgen: Oh, okay. Thank God to Chemie-Klos, wo du es nicht einfach nach unten fallen läßt.
Mathias: Ja, genau. Aber es war damals noch so. Und am Eiger war es dann auch recht spannend. Wir … also erst mal vielleicht angefangen, kamen ja nun von Hamburg. Und auch da war es wieder so das Thema mit der Akklimatisation. Aber wir wollten auf keinen Fall den Fehler machen wie im Sommer, dass wir in die Wand einsteigen im Dunkeln. Wir steigen jetzt am Nachmittag ein, finden den richtigen Einstieg und biwakieren dann einfach nach …
Jürgen: Und macht dann einfach zwei, drei Seillängen.
Mathias: Genau, also ab Hamburg durchgefahren und nächsten Tag dann einfach am Nachmittag eingestiegen. Haben dann unterhalb vom ersten Pfeiler das erste Mal biwakiert und wollten in aller Herrgottsfrüh dann los. Hatten dummerweise keinen Wecker dabei. Als wir dann aufwachten, wir waren natürlich von der Fahrerei schon ziemlich übermüdet, da fuhren schon die Bahnen auf der Scheidegg und es schien die Sonne.
Jürgen: Also, ihr habt ja … das erlebt man auch selten, dass ein Biwak so gemütlich gefühlt wird.
Mathias: Genau, also wir hatten Schlafsäcke dabei, also wirklich gut vorbereitet, hatten jeder so eine Isomatte uns zurechtgeschnitten, die also dreimal gefaltet hinten im Rucksack als Rückwand diente. Und haben da also wirklich ausgestreckt drauf gelegen und gut geschlafen. Und wir wollten aber auf jeden Fall, weil wir wussten, dass es ein guter Biwakplatz ist, oben auf das Todesbiwak rauf. Das ist erstes Eisfeld, zweites Eisfeld, man traversiert dann also ewig lang durch die ganze Wand durch. Und es war wirklich stockduster, als wir also unterhalb dieses Bügeleisens ankamen. Und haben gesagt, okay, es nützt nichts. Haben dann in der Randluft da biwakiert und so viel freigeschaufelt, dass wir wieder eine Liegefläche hatten. Also das war ein top, Biwakplatz. Und ja, ich musste aber … Ich muss morgens immer gleich als Erstes auf Klo.
Jürgen: Die Natur ruft.
Mathias: Die Natur ruft, ja. Hab dann noch die Seillänge oben bis zum Todesbiwak geführt. Und gut, es war Herbst, wir waren alleine in der Wand. Und ja, Latzhose runter. Es war noch damals Brustgurt-Hüftgurt-Kombination. Es musste halt alles runter, damit die Hose runterkommt. Und in dem Moment, also steh ich, das Band ist wirklich breit genug da oben, ja, steh ich mit Hose runter da und stell fest, das Topo fällt mir vorne aus der Latzhose raus. Und hab angefangen so zu rudern.
Jürgen: Da musst du rudern, weil das Topo ist wichtig.
Mathias: Ja, aber ich hab Gott sei Dank das Topo sausen lassen. Ansonsten wär ich hinterhergeflogen, unangeseilt. Und Rollo hatte zum Glück das Backup-Topo auch vorne in der Latzhose. Und dann haben wir uns das eine Topo geteilt.
Jürgen: Genau, das wär meine Frage gewesen. Weil ganz im Ernst, es muss immer ein Backup dabei sein. Jeder sollte einfach das Topo mit dabei haben, alle nötigen Informationen wissen, ok, ok. Aber ihr seid dann gut durchgekommen?
Mathias: Wir sind dann den nächsten Tag, haben wir gedacht, jetzt machen wir’s besser. Wir kommen jetzt nicht wieder in die Dunkelheit rein. Wir waren dann am Götterquergang oben, war ein super Biwakplatz da. Und haben gesagt, na, wollen wir’s noch wagen, doch noch auf den Gipfel zu kommen? Und gesagt, oder machen wir ein Biwak hier? Und wir haben gesessen und gesessen und gewartet und gewartet. Bis dann die Sonne endlich unterging. Aber es war wirklich traumhaft schön. Es war damals die Zeit, wo die Walkmänner aufkamen. Das heißt also, Kassettenrekorder …
Jürgen: Und Ihr konntet auch noch mit Musik die Landschaft genießen.
Mathias: Jeder hatte seinen eigenen Walkman mit dabei. Ich hab „Dire Straights – Brothers in Arms“ gehört. Rollo hat irgendwie „Nena“ gehört. Und es war schön, das Biwak. Und na ja, den nächsten Tag sind wir dann irgendwie auf den Gipfel gekommen. Und dann auch wieder runter. Aber es waren letztendlich dreieinhalb Tage in der Wand. Aber wir wussten, es ist eine ganz stabile Wetterlage. Es war wahnsinnig kalt, aber … es war eine Freude. Danach, wo wir jetzt bei den drei Wänden schon sind, hatte … muss ich dazusagen, wir waren beide in dieselbe Frau verliebt. Frauke Müller. Und Rollo dachte, ich wäre mit Frauke zusammen. Ich dachte, Rollo wäre mit Frauke zusammen. Wir sind beide zum Eiger gefahren. Na ja, wenn’s uns da runterhaut, auch nicht schlimm, wir sind ja so im Liebeskummer. Und haben uns dann während der Kletterei die Geschichten erzählt. Nach dem Eiger hatte Rollo ein Date mit Frauke. Das heißt, wir sind auf den Ith zurückgefahren, also nach Norddeutschland. Er hatte sein Date. Ich kriegte dann schon mit, das läuft nicht so richtig gut mit den beiden. Das sind eher Problemgespräche.
Jürgen: Du hast deine Chance genutzt.
Mathias: Ich hab meine Chance gewittert. Da sind wir nach dem Wochenende gleich wieder in die Schweiz runtergefahren. Und haben gleich noch die Matterhorn-Nordwand rangehängt. Und nach der Matterhorn-Nordwand hatte ich dann ein Date mit Frauke. (Lachen)
Jürgen: Okay, aber ihr wart immer noch eine sichere Seilschaft.
Mathias: Wir waren noch eine sichere Seilschaft, genau. (Lachen) Ja, also auch am Matterhorn haben wir biwakieren müssen. Wir haben uns da … vollkommen verschätzt, was das Einstiegseisfeld angeht. Wir haben … in der Beschreibung heißt es, es geht nach dem Einstiegseisfeld in so ein Couloir rein. Ja. Und wir haben irgendwie den Hörnligrat für das Couloir gehalten.
Jürgen: Oh, okay.
Mathias: Ja. Wir waren fast am Hörnligrat und haben dann vom Hörnligrat komplett die Wand durchgequert. Und haben dann auch leider in Wandmitte wieder ein Biwak gehabt, auf einer ins Eis gepickelten Stufe. Das war eins … das war das unangenehmste Biwak eigentlich in meinem Leben.
Jürgen: Okay.
Mathias: Weil man Nachts immer von dieser Stufe runterrutscht, wieder im Seil hängt. Ich hab mir noch fürchterlich den Finger beim Hakenschlagen irgendwie blutig geklopft. Also, die Narbe habe ich immer noch. Und, ja, das nächste Biwak war dann oben auf dem Gipfel. Das war dann schon wirklich toll. Besonders Morgens der Sonnenaufgang. Wobei, eiskalt, ich hab mir in der Nacht die Füße angefroren da. Also, es waren Minusgrade trotz Schlafsack. Und bin wie so ein Tier in so eine Felsritze reingekrochen. Also, eisiger Wind dann auch oben. Aber es war dann wirklich dieses … am Morgen dieses Erlebnis so, du blickst über die ganzen Alpen. Das war eine Sicht bis hin zum Mont Blanc. Ich weiß nicht, ob wir den Eiger auch gesehen haben. Aber es war das Gefühl, du stehst nicht nur auf einem Gipfel, sondern auf drei Gipfeln gleichzeitig. Auf allen drei Nordwänden. Und das … ja, da war ich 18, 19 Jahre. Da war ich natürlich dann auch mächtig stolz nach diesen Wänden. Und, ja, war dann … auch der erste Hamburger, der das irgendwie geleistet hat. Und, ja, da hat’s dann noch eine kleine Anekdote am Rande. Weil … das wurde dann auch von den Medien so ein bisschen aufgegriffen. Das „Hamburger Abendblatt“, das gibt’s immer noch, eine Hamburger Tageszeitung. Das war damals so die wichtigste Tageszeitung überhaupt in Hamburg. Die sind dann zu meinen Eltern ins Haus gekommen, haben dann Fotos von mir gemacht. Haben sich auch Bilder von den Nordwänden von mir geben lassen. Und haben dann ein Interview geführt. Und, ja, dann wurde ich halt gefragt, ob Reinhold Messner ein Vorbild für mich ist. Und ich sagte, das kann man nicht so recht vergleichen. Reinhold Messner, der macht halt mehr so dieses Expeditionsbergsteigen. Ich wusste natürlich schon, dass Reinhold Messner auch wirklich harte Klettereien damals hingelegt hat.
Jürgen: Auch in den Alpen.
Mathias: Auch in den Alpen. Aber für jemanden, der nichts vom Klettern und Bergsteigen versteht, hab ich einfach mal versucht, ein Beispiel zu geben. Ich sag, das ist wie Surfen und Hochseesegeln. Das kann man nicht vergleichen. Und wenn man den reinen Schwierigkeitsgrad nimmt, ich bin damals im Klettergarten schon solide Achter geklettert, sag ich, dann klettere ich schwerer als Reinhold Messner. Überschrift, „Mathias Weck – ich bin besser als Reinhold Messner“.
Jürgen: Ha!
Mathias: Das war so …
Jürgen: Das war nicht beabsichtigt.
Mathias: peinlich, ja. Also, ich hab tatsächlich auch einen anonymen Drohbrief bekommen.
Jürgen: Nein!
Mathias: Ja, das ist heutzutage im Internet, das ist ja schon … Hasspostings sind unangenehm, da kann man zumindest noch drauf reagieren. Da konnte ich nicht mal drauf antworten, weil das war anonym. Und …
Jürgen: Welche Drohung war drin gestanden?
Mathias: Nein, also keine Drohung, aber ich sollte mich schämen. Und, also, es war … also, sehr, sehr unangenehm. Es ist wirklich hängen geblieben, dieser Brief.
Jürgen: Und die Schwierigkeit für dich? Du konntest ja nicht irgendeine Gegenargumentation machen? Oder konntest du eine Gegendarstellung in der Zeitung noch mal bringen?
Mathias: Nee, schwierig. Alles andere war auch gut geschrieben. Und es ist … häufig ist es so, dass eben … nicht der Schreiber selber die Überschrift macht, sondern irgendein Redakteur, und das muss dann reißerisch sein.
Jürgen: Und dann kommt die Hookline, die unbedingt zieht.
Mathias: Das führte nun wiederum dazu, dass mein Schuldirektor auch diesen Artikel im „Abendblatt“ gelesen hatte, weil das war wirklich verbreitet. Und, ja, dann wurde ich zum Schuldirektor zitiert und der sagte, boah, Mathias, wir sind ja so stolz auf dich. Bei uns hier Schüler und dann so eine Leistung. Aber sag mal, zu welchem Zeitraum hast du denn diese Nordwände gemacht?
Jürgen: Hm, ja … (Lachen) Gott sei Dank stand es im Artikel nicht konkret drin.
Mathias: Ja, also, es standen schon, glaub ich, die Daten drin.
Jürgen: Oh, okay.
Mathias: Es stellte sich dann raus, also, es waren Herbstferien. Und vor den Herbstferien gab’s eine Projektwoche. Und da musste man sich halt einschreiben, in irgendeiner Gruppe, keine Ahnung, Sport oder was auch immer. Und da fiel mir halt ein, wenn ich mich nirgendwo einschreibe, ja, dann würde das auch keiner merken, dass ich fehle. Das hätte auch keiner gemerkt.
Jürgen: Das hätte auch keiner gemerkt.
Mathias: Wenn nicht dieser Artikel in der Zeitung gestanden hätte. (Lachen) Ah, ja, Sie haben also Ihre eigene Projektwoche gemacht. Na ja, wir sind trotzdem stolz auf Sie.
Jürgen: Er hat’s mit Humor genommen.
Mathias: Er hat’s mit Humor genommen.
Jürgen: Ja, klar, wenn man’s unter dem … Na ja, ich bilde mich fort. Dann hast du das ja gemacht, halt in anderen Formen. (Lachen) Ja, Wahnsinn, Wahnsinn. Ja, vielen Dank für den Einblick in das Alpine Klettern. Und du hast ja dann auch begonnen, nicht nur das Alpine zu machen, sondern hast Dir gesagt, Mensch, eigentlich in die USA möchte ich auch mal, aber ich hab kein Geld.
Mathias: Genau. Und für mich war das halt … mit der Kletterei hat auch gleichzeitig die Fotografie begonnen. Am Anfang halt … mit einer kleinen … Sucherkamera einfach dokumentarisch das festgehalten, was ich da so gemacht habe. Und dann aber kam, wie ich vorhin schon sagte, auch die Inspiration durch Reinhard Karl. Also, vielleicht über das normale, typische Bergbild so ein bisschen drüber hinauszugehen. Ich hab mir nach und nach so die verschiedensten Fototechniken erarbeitet. Hab mir … eine eigene Dunkelkammer eingerichtet. Dann … ja, halt mich mit Schwarz-Weiß-Fotografie viel mit beschäftigt. Dann halt mit den Dias. Und hab dann angefangen, Dia-Vorträge zu halten. Das war natürlich nach den drei Nordwänden. Das war natürlich ein tolles Thema. Erster Hamburger, der überhaupt solche Leistungen gebracht hat. Das waren schon ein paar interessante Geschichten, die ich da zu erzählen hatte. Und hatte auch schöne Fotos, die ich aber dann so kombiniert habe. Damals kam halt diese Überblendtechnik raus.
Jürgen: Die Multivisionschau, glaub ich, heißt das.
Mathias: Multivisionschau heißt das. Was mich immer gereizt hat, ich blende das eine Bild in das nächste über. Aber nicht nur, weil das ein angenehmerer Bildwechsel ist, sondern weil in dem Moment sich die beiden Bilder durchdringen und quasi ein drittes Bild bilden. Da hab ich dann angefangen, wirklich sehr damit zu spielen. Auch schon so Animationseffekte gemacht. Also ein Kletterer, der sich die Wand hochbewegt. Dann irgendwie so eine Nebellandschaft, die dann in den nächsten Nebel übergeht. Und dann das angefangen, auch mit Musik zu untermalen. Und ich glaube, diesen ersten Dia-Vortrag, den ich da gemacht habe, der heißt „Naturerlebnis Klettern“. Und der war schon was Besonderes, was über die normalen Dia-Vorträge so hinausging. Und das war halt in Hamburg, ich glaub, damals im Amerika-Haus, dieser Vortrag. Und da war ich auch richtig stolz drauf, weil ich hatte nicht allzu lange davor einen Dia-Vortrag von Reinhard Karl genau am selben Ort gesehen. Und da waren dann wirklich 200 Menschen. Und es war mein erster richtiger Vortrag, da vor 200 Menschen. Und da stockte mir am Anfang schon auch echt der Atem, bis man dann so reinkam. Aber das ist dann so gut angekommen, dass ich dann über den Alpenverein da so eine richtige Tournee gebucht bekommen habe. Und dann quasi von Stadt zu Stadt gereist bin. Und da gab’s dann, ich glaube, das war so ein Honorar von 200 D-Mark. Das war wirklich viel …
Jürgen: Pro Vortrag?
Mathias: Ja, also viel Geld.
Jürgen: Wow. Boah, da hast Du ja richtig Kohle gemacht.
Mathias: Ja, doch. Und in der Zeit, ich hab wirklich zwei Vortragstourneen gehalten, eine durch Norddeutschland und eine durch den Ruhrpott. Und hab mir so ungefähr 10.000 D-Mark verdient. Das hab ich dann beiseite gelegt für anderthalb Jahre, um mir dann den großen Traum Amerika zu …
Jürgen: Lass mich kurz, bevor wir da drauf kommen, das ist ja schon was ganz anderes als jetzt klettern und die Nordwende durchsteigen. Jetzt musst du das ja bildhaft erklären, deine Sprache kommt mit dazu, du hast die Multivision genannt. Also hast du da nie das Gefühl gehabt, man kann ich das eigentlich?
Mathias: Ich glaube, wenn man für irgendwas so sehr brennt, dann kann man das eigentlich.
Jürgen: Dann traust du dich einfach.
Mathias: Für mich ist es so, dann trau ich mir das einfach zu. Ich versuch’s halt einfach. Klar, am Anfang stottert man da so die ersten zwei Sätze, aber dann plötzlich legt’s dann auch einfach so einen Schalter um, dass man da so in so einen Flow reinkommt, dass die Begeisterung dann auch vielleicht auf die Zuschauer mit überspringt. Und ja, dann … kann man den Menschen auch da was von mitteilen. Ich hab diesen Vortrag auch von Anfang an so angelegt, dass ich gesagt hab, ich möchte das nicht nur für Kletterer machen, sondern ich möchte, dass da auch der Nicht-Kletterer Freude dran hat. Deshalb also bei „Naturerlebnis Klettern“ bin ich so durchgegangen vom Bouldern, übers Sportklettern, übers Eisklettern hin zu den großen Wänden. Und dann war auch so meine Sehnsucht, dass nach so eiskalten Tagen in den Nordwänden ich dann gerne wieder im sonnenwarmen Fels klettere. Dann ging’s halt so durch. Aber auch so die verschiedenen Techniken erklärt, vom Riss über Fingerloch, also dass auch der Nicht-Kletterer das versteht. Und ich hab diese Vorträge auch selbst in meiner Zivildienstzeit bei den älteren Leuten im Altenheim gehalten. Und die waren begeistert davon, weil das war so … Klar, sicherlich spielt’s auch eine Rolle, dass man so diesen Funken ein bisschen überspringen lässt. Aber eben etwas zu erklären …
Jürgen: Was du auch leidenschaftlich machst.
Mathias: Ja.
Jürgen: Das fällt dann auch leicht.
Mathias: Aber auch sich so gedanklich auf ein anderes Niveau zu begeben, das hilft mir auch heutzutage im Beruflichen. Haben wir noch gar nicht drüber gesprochen. Ich bin Fotograf zwar immer noch aus Leidenschaft, aber verdien da schon lange nicht mehr mein Geld. Ich mach ja inzwischen IT-Support alles, was mit Apple zu tun hat. Und die Leute schätzen mich da so, weil ich Dinge dann auch so erklären kann, dass sie jemand versteht, der von der Materie sonst nichts versteht. Und sind da ganz dankbar darüber.
Jürgen: Das Einfache einfach reduzieren.
Mathias: Genau. Und nicht so tut, als wenn der andere … ja, das muss man doch wissen. Sondern … jeder hat mal klein angefangen. Ich hab auch klein angefangen, sowohl mit dem Klettern als mit der Fotografie als auch in der IT. Weiß also, wie dumm ich war, wie naiv ich war. Und ich versuch mich dann eben halt auf so einem Niveau wieder … das ist jetzt nicht bös gemeint, sondern es ist einfach, so in den anderen hineinzudenken, wie der das jetzt vielleicht gerade sieht. Und so kann ich’s dann auch erklären. So hab ich’s in den Dia-Vorträgen auch gemacht. Ich glaube, dadurch ist das so ganz gut angekommen.
Jürgen: Aber es ist auch schön, dass du dich einfach getraut hast. Wenn man von Leidenschaft beseelt ist, dann startet man einfach. Das heißt, diese Ängste stellen sich eher so ein bisschen hinten an. Ich glaub, der erste Vortrag war wahrscheinlich trotzdem noch hochaufregend. Aber du hast es halt gemacht. Genau, und du hast es schon erwähnt, da ist dann gut Geld zusammengekommen und du konntest dir einen Traum erfüllen, nämlich Richtung USA zu reisen.
Mathias: Ja. Lustige Anekdote noch mit den Vorträgen am Rande, die Vortragssaison ist natürlich immer im Winter, weil man draußen eher nicht so gut klettern kann. Damals hatte ich halt als Auto nur einen Passat gehabt. Ich bin dann, das war ein sehr, sehr kalter Winter, mit ständig -10, -15 Grad, bin ich dann von Stadt zu Stadt gereist. Man wird dann gefragt, „Herr Weck, sollen wir für Sie ein Hotel buchen?“ Und ich wusste, wenn man das nicht macht, dann kriegt man eine Pauschale. Das heißt, ich fahr auch sonst im Winter raus und penne im Winter bei Minusgraden im Auto und mache das dann auch. Jedenfalls habe ich zwischen dieser ganzen Ausrüstung wirklich so zusammengepfercht …
Jürgen: Damit du die Pauschale bekommst und nicht das Geld ins Hotel zu investieren musst.
Mathias: Genau. Aber es hat sich nachher ausgezahlt. Es war wirklich so kalt, dass selbst die Cola im Auto gefroren war.
Jürgen: Echt?
Mathias: Ja. Hart war’s dann immer. Ich bin am nächsten Morgen, ich kann ja nicht irgendwie jede Nacht im Auto schlafen, dafür zwei, drei Wochen lang, und dann ohne mal zu waschen. Das heißt, ich bin dann Morgens immer ins Schwimmbad gegangen und musste dann die zu Eis gefrorene Badehose anziehen, das heißt, springen von der Umkleide in die Duschen. (Lachen)
Jürgen: Okay, aber du hast dir dann dementsprechend das Geld auf die Seite legen können. –
Mathias: Genau. Genau.
Jürgen: Wie ging’s los in den USA?
Mathias: Ja, in den USA … gab’s natürlich mehrere Ziele. Das eine waren natürlich klettertechnische Ziele. Das waren auch wieder Träume, geweckt vielfach durch Bücher von Reinhard Karl. Und …
Jürgen: Lass uns da mal bei einem bleiben. Natürlich ist der El Capitan das Ziel der Träume, finde ich. Wenn man da mal davor gestanden ist, das ist wirklich irre. Und weil du gerade Reinhard Karl sagst, da gibt’s ja so was, was mich damals auch in diesem Buch so beeindruckt hat, „Kaum Zeit zum Atmen“, „The Point of No Return“. Und du hast „The Shield“, diese Tour hast du geklettert.
Mathias: Genau, ja. Und es war … abgesehen von den Big Walls in den Alpen, das ist ja eine ganz andere Form von Big Walls, wo ich von Standplatz zu Standplatz irgendwie gehe und der andere nachklettert. Und am Big Wall klettern, am El Capitan, ist ja … mit sehr viel technischem Equipment und Haulbags nachziehen und so weiter.
Jürgen: Also dann auch viel Technik, ne? Wie zieh ich da richtig nach?
Mathias: Richtig, genau. Und … Ja, da hatten wir alle drei keine Ahnung von. Das waren John und Todd, die waren aus Santa Barbara. Und die hatte ich irgendwo … ja, in irgendeinem anderen Klettergebiet kennengelernt. Die wollten auch gern einen Big Wall machen. Und … ja, da kam dann wieder mein bisschen Größenwahnsinn rein. Ich sagte, na ja, wir brauchen uns nicht einklettern. Die wollten erst was Kleineres machen. Ich sag, komm, ich hab da gute Erfahrung mit. Wir machen gleich das Große.
Jürgen: Gleich das Richtige.
Mathias: Danach wissen wir, wie’s geht. Ja, lustig war’s dann, jeder hat so seine Aufgabe bekommen, was vorzubereiten. Also, Todd hat sich um das Essen gekümmert. Was sich im Nachhinein als nicht so schlau rausstellte, weil er hatte Salt Crackers eingekauft. Trockene Tortillas. Da haben wir nachher festgestellt, die geben hervorragende Frisbees ab, weil man konnte sie nicht essen, es war zu trocken. Das ist eine senkrechte Wüste. Das ist, jedem, der El Cap klettern möchte, kann ich nur sagen, Wasser, Wasser, Wasser. Das ist das absolute Entscheidende. Und John hatte sich um das Topo gekümmert. Und um die Literatur, wie wir nachher feststellten. Weil, auf halber Höhe, nachdem wir die Haulbags schon, also den anstrengenden Teil hochgehault hatten, das ist da, wo es noch nicht senkrecht ist, wo das fette Ding dann auf dem Granit schleift
Jürgen: Wenn man es über Fels hochziehen muss.
Mathias: Ja, also am Anfang hatten wir’s theoretisch, hatte ich’s alles schön gelesen im Reinhard Karl Buch auch. Man baut sich da wie so eine Art Flaschenzug. Lenkt das Seil halt durch den Karabiner um, macht dann Jümar rein, stellt sich in den Jümar, und dann denkt man so …
Jürgen: Zieh ich halt mal hoch.
Mathias: Kommt der Haulbag nach oben. Nein, man muss sich aktiv gegen stemmen, da passiert nichts mit dem Körpergewicht. Das ist so eine fürchterliche Schinderei. Na ja, jedenfalls, also auf halber Strecke grub ich irgendwo im Haulbag und fand dann so einen dicken Victoria-Secret-Katalog. (Lachen) Und den … den John eingepackt hatte, der ist dann auch da die Wand runtergeflogen. Könnte man heute nicht mehr machen, aber dann kommen wir noch mal zum Thema Fäkal-Podcast hier. (Lachen) Auch da ist natürlich das große Thema, wie mach ich da das Geschäft? Heutzutage muss man da in die Röhre … sein Geschäft machen und das dann mitnehmen. Und damals durfte man noch in die Papiertüte und diese Papiertüte dann im hohen Bogen die Wand runterschmeißen. Ich find’s eigentlich immer noch okay, weil nach 500 Meter Flug macht’s halt einfach nur noch einmal Pam und Papier und Scheiße ist einfach im Wald verteilt, da bleibt nicht mehr viel von übrig. Und … aber klar, wenn natürlich zu viele Menschen unterwegs sind, geht das irgendwann auch nicht mehr. Aber damals war das noch übersichtlich. Ja, dann … hatten wir schon einige sehr spannende Seillängen irgendwie hinter uns. Keiner wusste, wie gesagt, wie es geht so mit dem Big-Wall-Klettern. Was ich auch nicht empfehlen kann, also beim künstlichen Klettern bewegt man sich ja von Haken zu Haken, haut die Haken auch selber rein, ja. Und es wird dann häufig so gemacht, dass man mit der Strickleiter … oder … da rein steigt und dann ein bisschen hüpft und guckt, ob der Haken auch hält. Das sollte man tunlichst nicht mit dem ersten Haken machen, wenn man 10m über dem Band ist.
Jürgen: Könnt sehr unangenehm werden, ja.
Mathias: Das hat der John dann getestet, und er ist dann wirklich da aufs Band gefallen, es war so halbwegs glimpflich abgegangen. Aber auf jeden Fall war bei ihm dann, erst mal Vorsteigen hatte er nicht mehr so viel Lust, dann hab ich erst mal wieder ein bisschen vorgestiegen. Ja, und dann irgendwann hingen wir unter den sogenannten Triple Cracks. Schön verteilt so in den Standplätzen, auch noch mal abenteuerlich. Bohrhaken waren da, also jedenfalls nicht Bohrhaken, wie man sie heute kennt, sondern das waren diese Sticht Haken. Da schlägt man einfach so ein ganz kleines Löchlein mit einem Handbohrmeißel …
Jürgen: Die sind auch nicht allzu weit drin.
Mathias: Die sind gerade mal so weit drin.
Jürgen: Zwei, drei Zentimeter, ja.
Mathias: Ich hatte mal so was selber mal gesetzt und wusste, dass den Dinger nicht so viel zu trauen ist. Da waren dann ein paar mehr von da. Und da hatte ich tatsächlich dann irgendwie alle vier Haulbags, also jeder irgendwie an die 40 Kilo, hatte ich an einem so einem Haken irgendwie angehängt. Und war schon dabei, ein paar weitere Sachen vorzubereiten. Und sah plötzlich, wie der Haken anfing, sich so langsam rauszubiegen. Dann hab ich schnell mal das ein bisschen weiter verteilt. Und dann war aber auch gleich die Entscheidung gefallen, wir hängen nicht alle hier oben, sondern irgendwie verteilt. Ein Standplatz weiter unten und zwei Jungs dann oben. Und John hing weiter unten, Todd und ich hatten oben das Frühstück und haben das dann John Stück für Stück runtergelassen. Und während des Frühstücks macht’s plötzlich „Peng!“ Und Todd hing plötzlich zehn Meter weiter tiefer und das Frühstück lag unten am Wandfuß.
Jürgen: Was ist passiert?
Mathias: Ja, bei den Porterledges, das waren selbstgemachte Porterledges. Ich hatte auch ein selbstgemachtes. Das war …
Jürgen: Sollen wir noch sagen, Porterledges sozusagen eine, sagen wir mal, eine starre Hängematte, wo du dich in der Wand reinhängen kannst.
Mathias: Genau. Wir wussten, dass Hängematte das aller unkomfortabelste überhaupt ist. Hatten wir vorher auch mal ausprobiert. Da hängt man wie so eine Wurst drin, ja. Und ein Porterledge ist halt wie so eine Trage. Und in dem Fall hatte ich jemandem im Camp 4 so ein Porterledge abgekauft. Es war selbstgemacht, aber mit Rebschnüren dran, zum Verstellen. Und das war sehr einfach, aber sehr leicht und sehr stabil. So. Und die anderen beiden Jungs hatten sich gerade frisch eins fertigen lassen. War wesentlich schwieriger, äh, schwerer vom Gewicht her. Und es war genäht. Und genäht ist immer, wenn selber genäht, nicht so schlau wohl. Jedenfalls ist da eine Naht durchgekracht. Das ist aus dem Gleichgewicht gekommen. Und ist dann runtergerauscht. Natürlich auch beim Schlafen, man ist immer angeseilt, falls eben so was passiert. Aber da hat er sich doch ziemlich die Hand aufgerissen auch. Und, ja, hatte dann … die nächste Nacht hatten wir zum Glück, das ist das sogenannte Chickenheadledge.
Jürgen: Da hat er normal Platz gehabt.
Mathias: Da hat er normal Platz gehabt. Und, ja, das war auch ein abenteuerliches Erlebnis. Aber das Schlimmste, was ich in Erinnerung habe, ist Durst. Durst, Durst, Durst. Es war temperaturmäßig angenehm, lange Hose, T-Shirt. Immer ein leichter, oder wir dachten, leichter Wind, aber so gegen Mittag, also der Wind ist einfach durch diese Thermik, die da auch an dem Berg entsteht. Und dann ist so ein 50-Meter-Seil einfach mal waagerecht in der Luft gehangen. So stark ist der Wind. Das trocknet einen total aus. Man kommt oben am Standplatz an und will runterrufen „Stand“. Und man kann nicht mehr reden. Weil das alles so zusammengeklebt ist. Und wir hatten für die … normalerweise macht man’s so, man steigt ein, fixiert bis zu den Mammoth Terraces, das ist so quasi Wandmitte, fixiert man die Seile, bringt alles an Haulbags schon mal hoch, seilt wieder ab, macht unten im Tal zwei Tage Pause und ruht sich aus, jümart hoch und steigt das Ding dann durch. Haben wir nicht gemacht. Wir sind klassisch eingestiegen und durchgestiegen. Aber haben fünf Tage gebraucht. Und 40 Liter Wasser für drei Personen für fünf Tage ist einfach viel zu wenig.
Jürgen: Deutlich zu wenig.
Mathias: So zwei Liter Wasser hätte man auf Ex trinken können.
Jürgen: Lass mich noch fragen, weil du grad sagst, 50 Meter hängt das Ding waagerecht. Es gibt ja so was ganz Besonderes in der „The Shield“, diesen „Point of no return“.
Mathias: Ja.
Jürgen: Also wenn du in die Headwall reingehst, wo sich das zu einem Überhang ausbildet, da gibt’s kein Zurück mehr, ja? Wenn ihr da einsteigt, dann müsst ihr durch.
Mathias: Genau.
Jürgen: Egal ob kein Wasser oder …
Mathias: Richtig.
Jürgen: Wie habt ihr euch da entschieden? Es gab ja schon Dinge, die schiefgelaufen sind, Portaledges, die durchkrachten.
Mathias: Das ist zum Glück erst danach durchgekracht. Da mussten wir nach oben durch.
Jürgen: Okay. Aber war das wirklich so ein Punkt auch für euch, wo ihr sagt, okay, da ist jetzt eine Entscheidung, ob es wieder nach unten geht?
Mathias: Ja. Es war tatsächlich eine kurze Diskussion. Den ersten Tag sind wir bis auf die Mammoth-Terraces raufgekommen. Das war gut, aber wir waren völlig im Eimer. Und den zweiten Tag sind wir dann halt … Ich glaub, da sind wir … Wir sind wirklich nur in die Headwall reingekommen.
Jürgen: Da wirst du auch deutlich langsamer.
Mathias: Wir waren so langsam. Bis in die Headwall von den Mammoth-Terraces sind’s, glaub ich, vier Seillängen. Das war dann dieses wirklich große Dach, wo wir gesagt haben, na, gehen wir jetzt weiter oder gehen wir zurück? Dann haben wir gesagt, komm, wir gehen weiter. Und das ist dann … da wir zu dritt unterwegs waren, das ist dann schon echt abenteuerlich für den … Also, es wird ja nicht nachgestiegen, sondern hinterher gejümart. das heißt, also der Erste, der hinterher jümart, der hat’s noch angenehm, kloppt die Haken alle wieder raus, ist immer direkt nah an der Wand. Aber der dritte unten, der hat dann nur noch das Seil zum anderen Standplatz. Der schwingt dann raus.
Jürgen: Der schwingt dann raus.
Mathias: Du schwingst auf jeden Fall 20 Meter völlig ins Freie raus. Bis du dann anfangen kannst zu jümmern. Das ist klar, da kannst du nicht mehr abseilen, du kommst nicht mehr an die Wand ran, du müsstest das Ganze zurück klettern. So ist es auch mit Rettungsversuchen. Sobald Leute aus der Headwall rausgeholt werden müssen, geht das Rettungsteam von oben rein, lässt sich dann mit sehr langen Seilen halt ab und klippt dann halt immer ein.
Jürgen: Um sich näher an die Wand zu bringen.
Mathias: Um näher an die Wand zu kommen, weil du kommst sonst nicht runter.
Jürgen: Okay, wow. Aber ihr seid gut durchgekommen.
Mathias: Wir sind durchgekommen und, ja, wieder ein Erlebnis gehabt. Wieder eine Geschichte, die vorher im Kopf fest saß. Wie alle anderen Sachen halt auch so. Die drei Nordwände und auch das mit dem Big Wall, das wollte ich halt einmal irgendwie gemacht haben. Ich hab’s danach auch nicht noch mal gemacht. Ich hab’s mir selber bewiesen, ich kann das jetzt. Ich könnte es auch noch mal machen. Aber Shield war jetzt eh schon so eine der härteren Big Walls. Ich musste das dann noch nicht normal machen. Ich hatte dann auch wirklich richtig gute Bilder mitgebracht. Ich hab tatsächlich die komplette Hasselblad Ausrüstung, also eine 6×6-Kamera, damit durchgeschleift. Das war ein Riesen Fotorucksack. Kleinbildausrüstung auch noch. Bei diesen besagten Triple Cracks, die heißen so, da da so drei haarfeine Risse parallel zueinander versetzt sind. Da nagelst du dich dann mit solchen sogenannten „Rurps“ durch. Das ist wie so ein messerscharfes Blade, was du da rein prügelst. Das ist, ja, gerade mal so ein Zentimeter.
Jürgen: Das ist ja überhaupt erst die Möglichkeit, das zu gehen. Weil diese Haken entwickelt wurden, die in diese dünnen Risse reinpassen.
Mathias: Ich hab die vorgestiegen, hab mich oben festgemacht, hab die Kamera-Ausrüstung hinterhergezogen. Dann haben die Jungs unten das Seil abgezogen. Und Todd hat’s noch mal vorgestiegen, nur für die Fotos. Das macht man normalerweise in so einer Wand auch nicht, dass man gerade die Schlüsselseilängen noch ein zweites Mal vorsteigt, nur um Fotos zu kriegen. Aber ich hab’s nicht bereut, weil die Aufnahmen, die bleiben dann natürlich.
Jürgen: Ja, Wahnsinn. Okay, das erklärt natürlich auch, warum es fünf Tage gedauert hat. Ja, also das war jetzt nur ein Ausschnitt. Ich glaube, es gab noch ganz viel in den USA. Du hast „Separate Reality“ geklettert, noch ganz viel. Aber das soll’s erst mal so aus den USA gewesen sein. Aber du hast es grad angesprochen mit dem … Ja, du hast es einmal gemacht, und dann war irgendwie so, muss ich nicht noch mal machen, auch nach den drei Nordwänden, wenn man solche Ziele erreicht, Mathias. Wie ist das dann, so eine Zielerreichung? Schafft das auch mal innere Leere? Oder sagt man, oh, da muss sofort das nächste Ziel hinterher, da muss es weitergehen?
Mathias: Also, da sprichst du ein Thema an, das, glaub ich, viele Extremkletterer so durchmachen, wenn man auf ein Ziel lange hingearbeitet hat. Dann fällt man danach tatsächlich in so ein gewisses Loch. Und ganz schlimm war es eigentlich für mich immer, wenn ich so eine Wand mit jemandem zusammengemacht hatte, wo es eine reine Zweckpartnerschaft war, wo es keine Freundschaft wirklich war, wo man nach dieser Wand dann auch alleine war.
Jürgen: Das beeinträchtigt das Miteinander, das Gefühl, das gemeinsam geschafft zu haben.
Mathias: Genau, dann hat man … Wenn man keinen hat, mit dem man diese Erlebnisse teilen kann, ist das schon schwierig. Und nach diesen drei Nordwänden, Eiger, Matterhorn und Walker war es dann so, da hat man dann schon gedacht, na komm, nächsten Sommer muss es weitergehen. Also, da wäre für mich dann der Freney-Pfeiler am Mont Blanc irgendwie fällig gewesen, war auch so geplant. Ich bin mit jemandem dann los, wir waren am Mont Blanc du Tacule zum Einklettern gewesen und haben da oben im Valle Blanche gezeltet. Haben die Tour gemacht zum Einklettern und haben gesagt, ich hab keine Lust mehr auf diesen Eis- und Schneescheiß. Zum Glück war der Kumpel einverstanden, dann hab ich gesagt, muss jetzt auch nicht unbedingt für mich sein. Wir sind ins Verdon gefahren und ich weiß noch, die ersten paar Routen haben wir mit Walkman im Toprope oben von der Kante geklettert. Einfach Sonne und Fels.
Jürgen: Einfach Spaß haben sozusagen.
Mathias: Genau, und das ist eigentlich immer so für mich gewesen. Also, wenn ich so ein persönlich gesetztes Ziel, wo ich vielleicht auch ein bisschen länger drauf hingearbeitet habe, wenn ich das erreicht habe, dann ist es auch abgeschlossen so, dann muss ich das nicht unbedingt dann auch noch mal wiederholen. Also immer wieder wiederholen. Das ist … also, für mich ist es so, dass es auch ein bisschen langweilig wird. Also, im Sportklettern ist es wieder was anderes, aber da kommen wir vielleicht nachher noch dazu.
Jürgen: Da kommen wir noch dazu, genau. Danke für den Einblick, aber du hast eine besondere Sache schon auch noch gemacht. Norwegen ist ja beim Sportklettern mittlerweile auch ganz groß durch die Hans-Hellerin-Cave. Und du warst auch in Norwegen. Und ich hoffe, ich spreche es jetzt richtig aus, am Hägefjell.
Mathias: Richtig.
J
ürgen: Ja? Und dort gibt es eine Tour, die du, glaube ich, mit jemand Besonderem gemacht hast. „Even cowgirls get the blues“, eine 500-Meter-Wand. Wie muss ich mir denn den Hägefjell vorstellen?
Mathias: Ja, das war … Norwegen war wirklich ein sehr besonderes Erlebnis. Da war ich, bevor ich in die USA gegangen bin, schon mal. Und hatte auch ein paar Sportkletterreien erstbegangen, ein paar leichtere Mehrseillängenrouten erstbegangen. Und dann gab’s eine Route, wo wir mit sehr vielen zusammen eingestiegen waren. Und ich da so eine ziemlich bombastische Linie gesehen habe. Und dann gab’s so ein bisschen Gruppenunstimmigkeiten, was auch … die … ja, also … übermäßige Verwendung von Bohrhaken angeht. Sprich, wenn’s schwer wird, muss ich mehr setzen. Es waren nicht so viele Bohrhaken da, wir sind dann umgekehrt. Aber für mich war klar, ich wollte diese Linie noch machen. Wenn ich mir was in den Kopf gesetzt hab, mach ich das auch immer. Nach den USA war klar, ich muss zurück nach Norwegen. Da gibt’s noch eine Linie, die will ich machen. Und ja, in Norwegen … äh, in den USA hab ich die Margret kennengelernt. War auch noch eine ganz interessante Geschichte. Wir haben uns in den Red Rocks kennengelernt. Bei Freunden, die … wo sie war. Und ja, Margaret fand mich interessant, ich fand sie interessant. Ich hab sie auf Mitte 30 geschätzt, sie hat mich auf Mitte 30 geschätzt. Sie war schon Mitte 40, ich war Mitte 20. So haben wir uns getroffen. Und ja, sie hat gedacht, ich bin eine sichere Sache, ich geh ja zurück nach Deutschland. Ich hab gedacht, na ja, das ist mit ihr auch eine sichere Sache. Wir haben eine ganz tolle Zeit zusammen gehabt, wir waren völlig entspannt. Aber irgendwie hatten wir doch so viel … Gemeinsamkeiten, dass wir doch irgendwie aneinander hängen geblieben sind. Und diese Freundschaft, also, das war, USA war 1991, ’92, ja. Und ich war mit meiner jetzigen Frau Tweet, gerade vor vier, fünf Wochen über Weihnachten, noch mal das erste Mal seit 30 Jahren wieder in den USA, in den Red Rocks. Und wir haben auch Margret in Salt Lake City besucht.
Jürgen: Tatsächlich, okay.
Mathias: Der Kontakt war immer noch da. Es war sehr, sehr schön, sie wiederzusehen. Und ja, dieser Routenname ist ein bisschen auch Margret gewidmet. Weil, ja, das Mädchen aus dem Wilden Westen, das Cowgirl. Ja. Und auch sie hat da den Blues bekommen. Und war begeistert, mit mir diese Erstbegehung da zu machen. Und wir haben damals von, ich glaub, das ist Tom Higgins, das Buch gelesen, und das heißt eben „Even Cowgirls get the Blues“. Auf Deutsch ist es, glaub ich, „Schicksalsjahre einer Tramperin“. Ein Mädel, die einen ganz großen Daumen hat und deshalb immer trampen geht. Und … ja, dieses Buch haben wir gelesen. Und dann ist diese, ja, sehr spannende Route da entstanden. Tatsächlich, der Hägefjell ist so ein bisschen, sag mal, der norwegische Halfdome. Er ist nur wesentlich breiter als der Halfdome. Er ist nicht ganz so steil. Es ist jetzt nicht wirklich Reibungskletterei. Also, es sind schon auch viele fast senkrechte Sachen da drin. Aber so eine Mischung halt. Und ja, halt ganz klassisch, wie man das damals so gemacht hat. Und ja, das ist ja heute so ein bisschen eine Ethikdiskussion. Und die find ich auch gut, dass die geführt wird. Meines Erachtens sollte man große Wände von unten erst begehen und nicht von oben drüber abseilen. Weil da geht eine ganz große Portion Abenteuer verloren. Und es ist auch eine Routenfindung. Und ja, also klassisch von unten eingestiegen. Wenn man irgendwo eine Position hatte zum Stehen, dann hat man die Bohrmaschine hochgezogen. Und ja, die Route ist so 8+/9- geworden. Es gibt da zwei Varianten. Die eine haben wir im Nachhinein, die ist leider ein bisschen brüchig, aber dafür frei, so im achten Schwierigkeitsgrad. Und die andere ist, ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt schon eine freie Begehung hat. Damals hab ich sie nicht freiklettern können. Also, harte neuner Einzelstelle. Aber nur einen Zug, der dann A0 ging. Und dafür war es dann eine traumhafte 30 Meter Verschneidung danach.
Jürgen: Lässt sich dann doch ein bisschen verschmerzen bei einer 500-Meter-Wand, wenn der Rest der Kletterei einfach grandios ist.
Mathias: Absolut. Und wir haben ja noch eine freie Variante gefunden. Und wir haben es dann tatsächlich auch so gemacht. Wir haben auch dann über die Route abgeseilt. Wir sind nachher noch einmal außen rum gelaufen und haben, weil die Akkus nicht so lange gehalten haben, dann für Wiederholer noch mal weitere Haken gesetzt. Das ist auch so meine Position beim Erstbegehung machen. Ich muss da im Nachhinein nicht irgendwie als der harte Hund dastehen und die Route so erhalten haben, wie ich sie damals geklettert bin. Da waren dann Seillängen drin. Da bin ich im 8- Geländer 10, 15 Meter vom Haken weggeklettert. Im leicht geneigtem Gelände, da möchte man wirklich nicht fallen.
Jürgen: Und vor allem auch in unbekanntes Gelände.
Mathias: Ja, man hofft dann natürlich immer, dass eine Position kommt, wo ich bohren kann. Aber wenn ich bohre, dann drück ich die Maschine an die Wand ran. Das heißt, ich drück mich eigentlich von der Wand weg. Das heißt, ich muß ein bisschen was zum halten haben, um drücken zu können. Das ist schon ein echtes Abenteuer. Da ist es mir dann lieber, dass die Wiederholer auch Freude dran haben. Und ich das nicht so hinterlasse wie nach dem Motto, „Na, jetzt schaut mal, wie ihr da hochkommt.“ „Was bin ich für eine geile Sau hier.“
Jürgen: Interessante Einstellung. Das eine ist sozusagen zu hinterlassen, „Schau mal, ich hab’s gemacht.“ Also sozusagen der Fokus eher auf das Individuum. Das andere ist dann doch eher sozusagen die Möglichkeit, dass Andere auch Freude dabei empfinden können und vielleicht nicht nur nahe der Todesangst sind.
Mathias: Ja, das ist ja ein Stück Fels, was Jahrtausende noch irgendwie erhalten bleiben wird. Und wenn das jetzt für immer in Stein gemeißelt ist, ich weiß, das ist ein interessantes Thema.
Jürgen: Ja. Es ist schwierig. Das Beste wäre natürlich zu sagen, okay, wir machen alles clean. Weil dann haben wir „Don’t leave footsteps“. Aber das ist weder bei uns im Frankenjura noch im Gebirge tatsächlich ein State of the art. Ja. So … Wir gehen mal von Norwegen etwas weg. Du hast vorhin gesagt, du hast ja Dia Vorträge gemacht. Du warst in der Zeitung. Ich hab dich vorgestellt im Intro mit, du bist bezeichnet worden als der beste Kletterer Hamburgs. Und es hatte ja auch Vorteile für dich. Was hatte das denn für Vorteile, wenn man der beste Kletterer Hamburgs ist?
Mathias: Das ist natürlich ganz lustig. Auf Deutschland-Niveau und weltweitem Niveau war ich natürlich ein Nichts. Aber in Hamburg. In Hamburg hat keiner zu dem Zeitpunkt wirklich schwer geklettert. Da war wirklich ein gravierender Abstand. Ich hab zu dem Zeitpunkt, wo ich so im oberen achten Grad geklettert bin, haben die meisten in Hamburg noch zwischen sechs und sieben geklettert. Oder haben versucht, sich gerade den siebten Grad zu erarbeiten. Deshalb hatte ich das große Glück, wenn irgendwas Mediales mit Klettern in Hamburg passierte, dass die Leute da auf mich irgendwie zukamen. Und das führte dann auch so weit, dass, damals hieß es noch, Bergsportzentrale in Hamburg, der Frank Mertens, falls du das hören solltest, Frank, danke, danke. Du hast mir unheimlich geholfen, was meine Kletterkarriere angeht. Weil ich bin von denen tatsächlich mit Ausrüstung versorgt worden, mit allem, was ich haben wollte. Die haben den Namen gewechselt, hieß dann Extratour. Inzwischen gibt’s die leider nicht mehr, sehr bedauerlich. Aber das war ein Geschäft, was die Leute individuell beraten hat. So wie’s das hier in Franken auch noch gibt. Und die haben mich wirklich so hingehend gesponsort. Ich konnte in den Laden gehen und sagen, Frank, ich brauch einen neuen Schlafsack. Den hab ich immer noch von damals, vor 30 Jahren, Expeditionsschlafsack für damals 800 D-Mark. Den hab ich einfach so bekommen. Und wenn ich dann so sehe, was heutzutage bei Wettkämpfen, wo man einen Chalkbag oder ein paar Kletterschuhe gewinnen kann, oder wenn jemand gesponsort wird, kriegt er einmal im Jahr ein paar neue Schuhe. Das war damals eine ganz andere Liga. Und hat mir wahnsinnig geholfen, das ging so weit. El Capitan, der Shield, Frank hat damals gesagt, du, pass auf, ich kann das, was du an Ausrüstung brauchst, also hier die Rurps und hier diese V-Haken oder so was, kann ich dir schlecht besorgen hier, kauf das drüben, bring mir die Rechnung mit, bezahl ich dir. Also ganz, ganz edel. Und ja, aber das war für mich natürlich ein Riesengewinn. Also jetzt nicht nur monetär, sondern da auch so ein bisschen mediale Präsenz zu kriegen. Das führte dazu, dass ich damals für den Coca-Cola-Konzern, für Bon Aqua, die hatten so einen Werbespot, wo so Outdoor-Abenteuersportarten, Mountainbiken, unter anderem dann auch Klettern mit eingebracht wurden. Ganz kurzer Spot, so 15 Sekunden, „such die Balance zwischen intensiver Frische und maximaler … Ich weiß nicht … Da haben sie mich den ganzen Tag abgelichtet für diese paar Sekunden Werbespot. Und der lief dann tatsächlich anderthalb Jahre. Und ich glaub, es gab für den ersten, für diesen Einen Drehtag, ich glaub, ungelogen, 2.000 D-Mark. Also das war wahnsinnig viel Geld.
Jürgen: Richtig viel.
Mathias: War auch anstrengend, also einen Tag lang sich da hin und her zu biegen in Positionen. Also wenn ich als Kletterfotograf irgendwie Kletterer ablichte, dann weiß ich natürlich, der kann da jetzt seinen Fuß gar nicht hinnehmen, weil das ist völlig außerhalb der Kletterposition. Der Kameramann hat …
Jürgen: Das ist halt schwierig.
Mathias: „Stell doch mal deinen Fuß dahin.“
Jürgen: „Ich kann nicht.“
Mathias: „Ich kann nicht.“ (Lachen) Und es war stellenweise dann auch Solo-Klettern. Also es war an den Elbbrücken, es war ein bisschen was zum Absichern, aber das hätte nicht viel gebracht. Und das bin ich da den ganzen Tag rauf- und runtergeturnt in kurzer Hose und T-Shirt, und die anderen liefen in Daunenjacke rum.
Jürgen: Man stellt sich das immer so vor, so cool als Model, du machst immer die gleiche Bewegung, bis es im Kasten ist. Und wenn du dann noch so einen Kameramann hast, der sagt, „jetzt Mathias, jetzt mach das doch mal so.“ Dann kann das auch mal länger dauern.
Mathias: Ich hatte viel Verständnis, weil ich nun selber hinter der Kamera stand und habe ihnen gute Positionen liefern können. Sie haben ziemlich genau die Positionen genommen, die ich vorgeschlagen hatte. Und das, was der Kameramann da als Idee hatte, hat überhaupt nicht funktioniert. Das war einer der Punkte, dann war es Sat.1 „Wir im Norden“. Ich wurde da überall in irgendwelchen Fernsehshows eingeladen. Es gab auch immer ein bisschen Geld dafür, das war schon sehr nett.
Jürgen: Hast du da mal überlegt, dann tatsächlich Klettern professionell zu machen?
Mathias: Nein, nein. Ich habe auch nie an Kletterwettkämpfen selber teilgenommen. Also ganz später irgendwann noch mal, ich weiß nicht, ob wir da noch mal drauf kommen. Doch, kommen wir, glaube ich. Das hatte aber dann eher eine andere Bedeutung. Ich habe als Routenschrauber lange Jahre gearbeitet.
Jürgen: Frankenjura Cup hat, glaube ich, war da mal, oder?
Mathias: Das war noch weit davor. Damals gehörte ich, glaube ich, zur zweiten Riege. Der zweite Kurs, Fachübungsleiter Sportklettern hieß das. Das war eine sehr nett bezahlte Reise nach Arco. Und dann auch in der Fränkischen. Und wieder ein Auffrischungskurs mit Kurt Albert in Fontainebleau. Da gab es eine ganze Menge Privilegien. Unter anderem auch die ersten Wettkämpfe, die in Deutschland liefen, dass man da als Schiedsrichter mitgemacht hat. Man hat den ganzen Tag an der Wand gehangen und hat dann angesagt, der ist bis zu dem und dem Griff gekommen.
Jürgen: Damals gab es noch keine elektronische Messung. Die gab es dann später von Digital Rock oder so. Du hast dann praktisch angezeigt, sozusagen, Griff Nummer 34.
Mathias: Genau. Damals wurde noch so geklettert, einmal in den Chalkbag gegriffen und dann einmal gegen die Wand geklatscht. Das war der höchste erreichte Punkt. Das war gut anzuzeigen.
Jürgen: Aber das heißt, du sitzt dann da als Schiedsrichter im Kletterwettkampf eigentlich nur auf einem Holzbrett und wartest, bis der an dir vorbeiklettert.
Mathias: Richtig, genau. Aber es war gut bezahlt.
Jürgen: Okay.
Mathias: Es war toll anzusehen. Es war die Weltelite da von Patrick Edlinger über Lynn Hill. Selbst Wolfgang Güllich hat bei den anfänglichen Wettkämpfen noch teilgenommen, Stefan Glowacz. Das war schon beeindruckend zu sehen. Aber für mich war klar, da brauch ich nicht mit klettern.
Jürgen: Da reicht es auch, Schiedsrichter zu sein.
Mathias: Ja, genau. Ich hätte nie das Niveau dafür gehabt.
Jürgen: Wir kommen später noch darauf. Aber ich würde das gerne zu deinen Vorteilen, die du hattest. Du hattest ja auch den Luxustempel Meridian. Da hast du später ja mal so was, heutzutage würden wir sagen, eine Replik nachgebaut. Von was für einer Tour denn?
Mathias: Ja, das war tatsächlich eine ganz besondere Tour für mich. Weil es hat natürlich immer im Laufe des Lebens nicht nur Ziele gegeben, wie mit den Nordwänden, sondern auch Schwierigkeitsgradziele gegeben. Die erste 7- war natürlich was ganz Besonderes. Damals diese Grenze vom 6. zum 7. Grad, die ich auch noch miterlebt hatte, die Grenze des Menschenmöglichen.
Jürgen: Was ja auch der Wechsel war vom Alpin Klettern, was bei 6+ geendet hat, siebter Grad war irgendwie Sportklettern.
Mathias: Und klar, 8./9. Grad, dann so eine Schallmauer, war dann tatsächlich noch mal die 10-. Und die hatte ich mir, als meine erste 10-, dachte ich, den Bärentöter erarbeitet. Der ist aber inzwischen nur noch 9+. Der wurde genau ein Jahr, nachdem ich ihn geklettert hatte, wurde der abgewertet.
Jürgen: Dann musstest du eine neue Schallmauer suchen.
Mathias: Genau, da brauchte ich eine neue Schallmauer. Das hat bei mir dann doch am Ego gekratzt. Ich hab dann alle möglichen 10- irgendwie probiert. Das ist natürlich ab Hamburg auch immer schwierig. Man muss eigentlich so ein bisschen was Allwettertaugliches finden. Und das ist …
Jürgen: Und den Liegefaktor wahrscheinlich auch.
Mathias: Ja, den Liegefaktor auch. Aber für mich war klar, das ist so sehr die Grenze, da werde ich lange, lange dran arbeiten müssen. Und das muss was sein, was auch im Frühjahr-, Sommer- und Herbst noch geht. Im Winter war nie die Zeit, wo man aus Hamburg hier runterfährt. Aber … ja, und da bin ich dann irgendwann nach viel suchen und auch andere Routen länger zu projektieren, erfolglos zu projektieren, bin ich dann zum Waldkopf gekommen. Und der Waldkopf war natürlich so ein gewisser Tempel wegen der „Action directe“ natürlich. Und wer „Action directe“ nicht klettern kann, der kann vielleicht dann die Slimline klettern.
Jürgen: Die ist rechts neben dran, zwei Touren weiter.
Mathias: Genau. Und ja, zuerst dachte ich natürlich auch, da hab ich wenig Chancen und hatte eigentlich schon wieder abgebaut. Und dann kamen zwei Jungs, die da schon mal drin waren und probierten dann auch. Und dann sah ich, die sehen noch schlechter drin aus als ich. Und dann bin ich da doch noch mal reingegangen. Und dann irgendwann konnte ich die Züge klettern. Und ich wusste von Guido Köstermeyer, der mich in Norddeutschland schon mal in den neunten Grad eingeführt hat, da hab ich Fotos von ihm gemacht und musste mich durch einen Neuner durchkämpfen. Damals hatte ich grade noch so, ja, Achter-, Achtplus projektiert. Und kam aber den Neuner irgendwie, die Passagen irgendwie hoch. Und hab dann die Fotos von ihm gemacht und meinte, du, nimm dir das doch mal als Projekt vor. Du hast ja vorhin alle Passagen geklettert. Das kannst du doch durchsteigen. Sag ich, das ist doch viel zu schwer für mich. Nein, du hast alle Züge geklettert. Von daher wußte ich so…
Jürgen: Das ist ein cooler Ansatz. Mal zu sagen sich auch mal in was Schweres rein zutrauen, auch wenn nur die Einzelzüge erst mal gehen. Aber eigentlich ist schon viel gemacht.
Mathias: Wenn ich weiß, dass ich die Einzelzüge klettern kann, dann weiß ich, der Rest ist nur noch Fleißarbeit. Das ist bei mir, glaub ich, die größte Stärke, die ich habe, ist, auf Englisch, Persistence, also Hartnäckigkeit, dran zu bleiben, bis es dann fällt. Und das hab ich mit der Slimline eben halt auch so gemacht. Und mir damals im Meridian, das war halt … ja, direkt in Hamburg dann die erste Kletterwand. Wir hatten schon eine ein bisschen außerhalb von Hamburg gehabt. Da hattest du auch schon einen Gast, hier die Reality Wall.
Jürgen: Mhm. Das war der Dieter Reif, genau.
Mathias: Genau, der Dieter Reif. Und da hab ich damals auch ausgiebig Routen geschraubt. Und als dann das Meridian aufmachte, wirklich Fitness-Tempel für die etwas besser Betuchten mit wunderbarer Saunalandschaft. Und dann eine 45 Grad überhängende Wand drin. Also genau wie der Waldkopf. Aber für Leute, die sonst nicht klettern, also in diesem Fitness-Tempel, völlig ungeeignet.
Jürgen: Ich wollt gerade sagen, da fängst du ja gleich mal hart an.
Mathias: Genau. Und ja, also hab ich dann versucht, da auch für Leute, die dann anfangen mit Klettern, mit großen Griffen, da Sachen reinzuschrauben. Und durfte mir dann aber auch meine eigenen Trainingsrouten reinschrauben. Ich hatte schon durch meine erste Kletterwand gelernt, wie ich mir selber Klettergriffe mache. Und zwar Naturgriffe. Also ich sammle draußen am Fels, sammle ich Griffe. Es ist gar nicht so einfach, ein Fingerloch zu finden.
Jürgen: Wollte ich grad sagen.
Mathias: Und glaub ja nicht, dass man die besten Fingerlöcher in der Fränkischen findet. Vielleicht am Fels, aber sie liegen nicht am Wandfuß rum.
Jürgen: Nee.
Mathias: Die besten Fingerlöcher hab ich auf Mallorca, Cala Magrané, in einem Flussbett gefunden. Da war das ganze Flussbett voller Fingerlöcher. Also so ausgewaschen. Die hab ich mir mitgebracht, hab sie in Epoxidharz-Quarzsand einzementiert und hab sie danach an die Wand geschraubt. Und hab mir tatsächlich Slimline da nachgebaut. Hab’s in der Halle nie geklettert, hab’s nie durchsteigen können. Aber am Fels hat’s dann irgendwann geklappt.
Jürgen: Ja, klasse. Klasse. Ja, also man sieht, als bester Kletterer Hamburgs, die Bergsportzentrale hat dich viel geprägt. Und schön von dem Einblick in die Werbefilme. Und ja, jetzt hast du schon angesprochen, bevor wir zum Frankenland kommen, du warst ja in ganz vielen Gebieten unterwegs. Weserbergland hast du jetzt angesprochen, Ith, Selter, Odenwald. Und Odenwald würd ich gerne mal rausnehmen. Da gibt’s im Odenwald etwas, ich glaub, in Ziegelhausen ist es, „Noli me Tangere“.
Mathias: Genau.
Jürgen: Eine Tour, die eine besondere Geschichte für dich hat.
Mathias: Genau. „Noli me Tangere“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Berühre mich nicht“. Ja. Und meine Frau kommt von den Philippinen, was katholisch sehr geprägt ist, also, man kann sagen, erzkatholisch. Es ist das einzige asiatische Land, was so einen starken christlichen Glauben hat. Und von den Philippinen gibt’s einen Freiheitskämpfer, der heißt José Rizal. Und der hat in Heidelberg studiert. Und hat ein Buch geschrieben, und dieses Buch heißt „Noli me Tangere“. Und hat letztendlich dazu geführt, dass die Philippinos sich von den spanischen Besatzern befreit haben. Das ist also quasi ein Roman gewesen, es ist nur eine sinnbildliche Darstellung. Aber es hat sehr stark durchblicken lassen, was damit gemeint ist. Und er ist nach seinem Studium hier in Deutschland, und ich glaub, er war dann noch in Spanien, und ist dann auf die Philippinen zurückgegangen und ist dann auch tatsächlich getötet worden. Aber es hat eben zu dieser Revolte geführt, durch die die Philippinen dann unabhängig geworden sind. Und in Heidelberg steht in einem Gymnasium auf dem Schulhof ein Denkmal für José Rizal. Und, ja, ich mag es, bei Erstbegehungen mit Wörtern, auch mit Historie zu spielen. Und in dem Fall hat’s natürlich noch mal eine Doppelbedeutung, weil unter diesem Dach, wo die Route durchführt …
Jürgen: Also, die ist sehr, sehr steil.
Mathias: Ja, genau. Es ist ein großes Dach, nur der untere Teil ist so ein sechser-, siebener Bereich, also leichteres Gelände. Und dann, das Teil ist so 9- geworden. Und da gibt’s noch eine andere Route, die einmal so quer durchs Dach geht, die heißt „Unter deutschen Dächern“, was dann auch noch zu einer weiteren Kombination da geführt hat. Und, na ja, jedenfalls dieses „Noli me Tangere“ ist … Es gab eine Schuppe, die ich nicht entfernen konnte. Aber die war so, dass man sie besser nicht anfassen sollte.
Jürgen: Lieber nicht berühren.
Mathias: Richtig, genau. Also dieses Game-on-Words – Wortspiel. Ja.
Jürgen: Ach, schön. Okay, also, das magst du schon, dass sozusagen so Doppelteudigkeiten auch entstehen. So, ich wusste übrigens nicht, dass man … Ich kenn Warstein immer nur von einem Getränk. Aber es gibt dort ganz klasse Klettereien. An der Hillenbergwand, ja? Und dort hast du auch einige gemacht. Wie ist das Klettergebiet dort in Warstein?
Mathias: Also, es gibt in Warstein nicht nur schlechtes Bier. (Lachen) Sondern es gibt auch einen Haufen Käse.
Jürgen: Oh, okay.
Mathias: Und zwar gibt es eine Wand da, die heißt „Die Käsewand“.
Jürgen: Tatsächlich, weil so viele Löcher drin sind?
Mathias: Nein, die heißt so, weil die wie ein abgeschnittener Käse ist. Und da kommen wir jetzt wieder auf den Odenwald zurück. Weil für den Odenwald hat Jo Fischer einen Kletterführer gemacht, der … sehr gut war. Und leider dann von jemand anderem mehr oder weniger kopiert übernommen wurde. Jo macht jetzt die weiteren Ausgaben nicht mehr. Finde ich sehr schade. Aber jedenfalls kennt sich Jo da sehr gut aus. Und da hab ich den Jo angeschrieben und dazu gefragt zu dem Face, ob man da was einbohren kann oder … Ja, und dann sagte Jo, du, wäre schön, sich mal wieder zu sehen. Weißt du eigentlich, wo ich stecke? Nee, ich bin jetzt in Warstein. Und an Jo Fischer, falls du das hörst, Jo, dickes Danke. Nicht nur für die wunderbare, geile Zeit, die wir in Warstein zusammen hatten, sondern auch für das, was du für die IG Klettern in Norddeutschland getan hast. Weil Jo Fischer hat sein ganzes Leben quasi der IG Klettern gewidmet. Und in Norddeutschland wirklich viel, viel rausgerissen, das Felsen nicht gesperrt wurden. Leider ist er sehr unschön da rausbugsiert worden aus diesem Amt. Und andere haben es dann so, muss man schon sagen, verkackt, dass unser bestes Klettergebiet, der Selter, komplett gesperrt worden ist. Und, ja, jedenfalls hat Jo sich dann wirklich da komplett rausgezogen aus Norddeutschland, ist geflüchtet. Weil das für ihn kein schönes Ende genommen hat. Und hat sich dann sehr gefreut, als ich mich bei ihm gemeldet habe. Und sagte, Mensch, komm mich doch mal in Warstein besuchen. Klar, wann denn? Ja, jederzeit, wann du magst. Ich sag, okay, heute ist Donnerstag, heute Abend geht’s sowieso los zum Klettern. Ich komm heute Abend vorbei. Sagte, nee, ist nicht dein Ernst, ne? Ja, klar. Dann haben wir bis Nachts um drei oben am Steinbruch gesessen und ein Bierchen getrunken. Herrlich von alten Zeiten irgendwie geratscht. Und, ja, dann sagte er, du, hier an der Käsewand gibt’s ein Erstbegehungsprojekt, das hab ich geschenkt bekommen, weil mir jemand eine andere Tour irgendwie geklaut hat. Und die hab ich jetzt hier bekommen. Aber das ist viel zu schwer für mich. Ich kletter Siebener, 8-, war das Härteste in meinem Leben. Das ist bestimmt im Neunten Grad, willst du das nicht probieren? Ja, dacht ich, gerne. Am nächsten Tag haben wir’s eingebohrt. Danach war ich dann, nach Saufen mit Jo und Einbohren und den ganzen Tag Projektieren, war ich dann doch ziemlich im Eimer. Bin nach Darmstadt runtergefahren, habe meine Frau, die gerade ihre Schwester besuchte, und ihre Eltern, die da zu Besuch waren, habe sie abgeholt und gesagt, du, es gibt nichts … Wir müssen, du weißt ja, wenn ich mir irgendwas in den Kopf gesetzt habe Dann müssen wir das jetzt leider durchziehen. Wir müssen am Rückweg noch mal nach Warstein. Dann hab ich also die Schwiegereltern mitgenommen und meine Frau. Und dann sind wir da in den Hillenberg. Und dann ist an der Käsewand die mittlere Route entstanden. Dann hab ich sie durchsteigen können. Mein Schwiegervater hat noch Fotos gemacht. Und ja, links und rechts gibt’s ’ne Route, die „Was mit Käse“ heißt.
Jürgen: Wie hieß die Route, die du durchstiegen hast?
Mathias: Ja, links gibt’s den „Le Camembert“. Rechts gibt’s, ich glaub, „Le Gruyère“. Und in der Mitte sollte irgendwie Manchego oder so was heißen. Aber nachdem, was da so vorgefallen war, mit sich gegenseitig Routen wegnehmen und so weiter, hab ich dann mal gedacht, das muss irgendwie anders heißen. „Was soll der Käse?“
Jürgen: Ah, okay. Also, das ist der Hintergrund.
Mathias: Genau.
Jürgen: Was soll das eigentlich, was hier passiert? Okay. Aber da gibt’s auch noch zwei andere, „Verdon, Couture“ und der Sichelriss. Die ersten, glaub ich, hast Du sogar clean begangen.
Mathias: Genau. Also, als ich da in den Hildenberg reinkam, sah ich sofort eine Linie, ein Risssystem, was aussieht wie eine Sichel. Also, erst ein paar Meter gerade hoch und dann so einen Bogen macht. Und ich sag, Jo, das ist ja die King Line hier. Also, die muss ich machen. Und Jo sagt dann, ja, das gehört dem Heinz Willi. Das ist jetzt aber auch schon acht Jahre irgendwie belegt hier. Und ich sag, na ja, gut, ich will mich nicht gleich unbeliebt machen, da hingen sogar Fixseile drin, aber das war schon das, was so ins Auge stach. Und, ja, ich bin also ab dem „Was soll der Käse?“ bin ich da tatsächlich dann eineinhalb Jahre lang in den Hillenberg gefahren. Und hab dann auch den Heinz Willi, der diese Route da ursprünglich eingebohrt hatte, dann kennengelernt. Und dann hab ich gesagt, du, wie sieht’s aus? Na ja, das ist schon irgendwie hier die Kingline, ich würd’s gern machen so. Na ja, gut, sieh zu. Und dann sagt er, du kannst schon mal was anderes machen. Das zweigt da nach Links ab irgendwie. Also, aber irgendwann war’s dann so weit, nach eineinhalb Jahren, ich hab eine Route neben der anderen irgendwie dann da aufgeschlossen. Und Heinz Willi hat da viele Sachen von oben so gehend eingebohrt, also wie im Verdon, du musstest außen rumlaufen, den oberen Teil, der war leichter, geklettert, und der untere Teil fehlte noch. Und all die Linien hab ich dann aufgeschlossen, dass das durchgehende Linien waren. Und das sind Wände, die sind 35 Meter hoch. Und Verdon Couture ist so eine, ja, also, die geht halt direkt in der Mitte durch. Und diese Wand ist insofern besonders, es ist zwar ein alter Steinbruch, und Steinbruch heißt ja meistens irgendwie glatt, nur Risse oder so was. Aber das ist eine Karst-Wand, das heißt, da hat eine Wand davor gestanden, und dahinter ist das Wasser rein gelaufen. Und da sind da so richtige Verwitterungsstrukturen drin. Und zwar …
Jürgen: Spannend.
Mathias: Teilweise wie im Verdon, diese, ich weiß nicht, ob ich das richtig ausspreche, „Goutte d’eau“, also diese
Jürgen: Tropflöcher.
Mathias: Ja, diese Tropflöcher. Und die Route ist, ja, ich glaub, so 9+ ist sie geworden. Und von den 35 Meter Wandhöhe sind’s also bestimmt 40 Klettermeter, weil man geht immer so ein bisschen hin und her. Für zehn Zentimeter Höhengewinn muss man die Füße irgendwie vier bis fünfmal umsetzen. Und ja, das ist also ein bisschen wie ein Tanz. Und so aus dem Grunde halt eine Mischung aus Verdon und Haute Couture. Und das ist halt „Verdon-Couture“. Und ja, das ist das, wo meine Frau mich das allerlängste Mal in ihrem Leben gesichert hat. Also, sie ist wirklich sehr, sehr geduldig, klettert auch gerne. Aber nach zweieinhalb Stunden war’s selbst ihr dann schon ein bisschen viel.
Jürgen: Mich wundert’s, dass du zweieinhalb Stunden im Gurt sitzen kannst.
Mathias: Ich hab’s nicht so richtig gemerkt. Und hab’s auch danach noch nicht so gemerkt, weil ich meinte dann, du isst nur noch ein klein bisschen, dann habe ich die Passage hier auch noch raus. Am Ende hab ich vier Stunden am Stück durch diese 35 Meter Wandhöhe gebouldert.
Jürgen: Oh, oh, oh!
Mathias: Wir sind danach in die Fränkische runter gefahren, und ich hab das ganze Wochenende nicht mehr klettern können, weil Finger, es war alles einfach durch. Ja. (Lachen)
Jürgen: Ja.
Mathias: Ja, zu dem Sichelriss gibt’s da noch zu berichten. Also, nach anderthalb Jahren war dann auch mit meiner Geduld dann Schluss. Also, das ist eine schwierige Sache, wenn jemand eine Route eingebohrt hat und dann auch belegt. Diese Route war dann halt acht Jahre schon belegt. Wenn jemand eine Route acht Jahre lang intensiv probiert, dann hab ich da kein Problem mit. Und in dem Fall bin ich auf den Heinz-Willy dann auch noch mal zugegangen und hab gesagt, pass auf Heinz-Willi, ich durfte jetzt schon diese andere Route machen, die nach links abzweigt. Ich kann mit Gewissheit sagen, dass ich die Schlüsselstelle schon geklettert habe, weil alles, was oben in der Sichel mit drin ist, ist eine große Piazschuppe, das ist nicht mehr so schwer. Wenn du willst, ich coach dich da durch. Jedes Wochenende, wenn du willst. Aber mach es, bleib dran. Dann hab ich noch mal zweieinhalb Monate gewartet und es ist nichts passiert, kein Chalk drin gewesen, gar nix. Ich war jedes Wochenende da, Heinz-Willy war nicht da. Dann hab ich irgendwann gedacht, es gab dann noch ein paar Warnschüsse mit Routennamen, mit „Luftraumverletzung“ und …
Jürgen: Von dir waren die Routennamen?
Mathias: Ja.
Jürgen: Ah ja, okay.
Mathias: Das waren dann weitere Routen, die ich aufgeschlossen hatte. Die letzte Route hieß „Burning down the house“. Das war dann auch wörtlich gemeint. Am Wochenende drauf hab ich den Sichelriss geklettert. Die Fixseile hab ich rausgeschnitten, die waren so festgewittert, also ich musste die mit der Säge durchschneiden, da war nix mehr mit dem Taschenmesser. Die Haken waren so lala, die waren da schon lange drin, war alles nicht so dolle. Ich hab’s trotzdem so geklettert, hab’s danach komplett saniert, alles schön mit Bühlern und hab gesagt, jetzt fehlt das, was ich eigentlich wollte, und das Ding muss eigentlich clean geklettert werden. Und dann, ja, also, wie gesagt, die Erstbegehung … war nur einmal Schlingen hochgehängt, ausgebouldert und abgeholt. Ja, 8+/9- hab ich gesagt. Und clean hab ich’s dann tatsächlich 9- gegeben. Da hab ich, glaub ich, noch mal sechs Versuche bestimmt so über zwei Wochen verteilt gebraucht. Das ist eine ganz andere Nummer.
Jürgen: Um die Placements zu finden und sicher zu legen.
Mathias: Nicht nur finden die Placements, sondern tatsächlich, wenn ich da in die relativ guten Griffe meine Placements reinmachen muss, das ist schon noch mal eine andere Nummer. Und auch psychisch, also, da macht man dann auch nur … eigentlich macht man nur einen richtigen Go am Tag. Weil wenn ich da dann … wenn’s irgendwie meine Grenze ist und ich knall dann da in meine Sicherung rein, da muss man auch dazu sagen, die ersten acht Meter ist eigentlich so 8- Gelände, das klettert man solo, da dürfte man auch nicht fallen. Da stecken ja sonst Bohrhaken, aber da kann man nichts legen. Am Anfang hab ich die Schlingen noch irgendwie drin gelassen für den Fall, wenn’s nicht läuft, greif ich rein. Nachher hab ich’s rausgelassen, da hatte ich’s dann sicher drauf. Das ist schon eine andere Nummer. Aber das ist auch das, was ich vorhin sagte mit Norwegen. Wenn ich jetzt Arsch gewesen wär, hätte ich gesagt, ich nehm alle Haken raus, man kann’s ja clean klettern. Aber es ist die King Line da, das wäre sowas von egoistisch. Ich hab’s noch mal saniert, um da der Nachwelt eine King Line zu hinterlassen. Weil, ja, es sollen andere was von haben.
Jürgen: Genau, es sollen ja auch andere klettern.
Mathias: Genau, und nicht nur mein Ego bespaßen.
Jürgen: Das ist auch der Punkt, weil’s ja doch ein bisschen die Debatte gibt, was ist mit so einem Projekt? Ich glaub auch, es ist schon wichtig, da dran zu bleiben. Wie du gesagt hast, wenn’s jemand immer wieder probiert, dann hab die Zeit. Wobei ich dann auch sagen würde, nach acht Jahren wird man wahrscheinlich irgendwann eine Erkenntnis gewinnen. Also entweder ich stell meinen Trainingsplan in diese Richtung um, dass ich da sukzessive besser werde. Aber wenn natürlich dann nur die Seile drin hängen, das ist ein bisschen schade.
Mathias: Also, da auch noch mal dein anderer Interviewpartner, der Heiko Queitsch, der macht’s ja wunderbar vor. Oder hat’s viel vorgemacht in der Vergangenheit. Das Greenpoint. Also, auch in der fränkischen Routen, die „Chasing the Train“ hat er, glaub ich, clean gemacht und so was. Das ist halt eine ganz andere Leistung. Aber das ist ja … ist dann einfach nur für einen selbst. Und wenn ich schon alles irgendwie gemacht habe, dann kann ich auch eben da mich mental steigern. Und …
Jürgen: Ist vielleicht ein guter Punkt auch, um so ein bisschen wegzukommen von, weil da ist er ja auch ein bisschen seltsam angeguckt worden, der Heiko, genau bei „Chasing the Train“. Aber man sucht sich halt dann selber das Abenteuer. Natürlich hab ich da sozusagen meine Bühlerhaken nebendran, aber ich kann es mir ja auch in einem anderen Begehungsstil holen. Da hab ich großen Respekt davor. Weil das natürlich schon noch mal eine ganz andere Auseinandersetzung ist mit sich selber. Ja, vielen Dank für den Einblick nach Warstein. So, und jetzt endlich dürfen wir Richtung Franken gucken. Und eine Route hast du schon erwähnt, nämlich die Slimline, eine 10-, die du … Entschuldigung, die du begehen konntest, bist ja oft hergefahren. Ich glaub, da war auch das Zitat von deiner Mama …
Mathias: Nee, nee, nee.
Jürgen: War nicht so?
Mathias: Das kommt gleich bei der Route, wo du drauf hinaus willst.
Jürgen: Okay, dann … aber bevor wir zu der kommen, Slimline hast du uns schon was erzählt. Und es gibt aber auch so was wie „Crime of the Century“. Und jetzt kommt’s … die Geiselhaft. Und was gibt’s denn zur Geiselhaft zu berichten?
Mathias: Richtig, ja. Die Geiselhaft, wie der Name schon so ein bisschen anklingen lässt, ist an der Hohen Geisel. Und die Route hat mich sehr lange in Geiselhaft genommen. So.
Jürgen: Wie lange?
Mathias: Wie lange? So gesehen viel zu lange, aber das Ganze hat eine Geschichte. Also, ich hab diese Route geschenkt bekommen zu meinem 40. Geburtstag vom Sven König. Vielen Dank, Sven, falls du dieses siehst. Und das war ein ganz tolles Geschenk, wenn auch ich es am Anfang gar nicht so schätzen konnte. Weil nämlich kurz nach meinem 40. Geburtstag hat sich so einiges in meinem Leben verändert. Meine damalige Beziehung ist in die Brüche gegangen. Das ist mir fürchterlich in den Rücken geschlagen. Und ich hab … ja, einen ganz schlimmen Bandscheibenvorfall gehabt. Also, so, dass ich überhaupt nicht …
Jürgen: Und das mit 40?
Mathias: Ja, also mit Anfang 40, genau. Und … ja, so, dass dieses Projekt komplett auf der Strecke geblieben ist. Ich hab da noch einen Haken gesetzt. Und dann ging’s da nicht weiter. Sollen wir schon den Ausflug machen übers Freediving?
Jürgen: Ja, gerne.
Mathias: Gut, ja. Also, es war tatsächlich so schlimm mit dieser Bandscheibengeschichte, dass ich irgendwann an dem Punkt war, dass ich jedwede Freude am Leben verloren hatte. Und klettern ging nicht mehr. Ich konnte zwischen einer halben Stunde bis maximal drei Stunden am Tag aufstehen, so stark waren die Schmerzen.
Jürgen: Also, stehen ging noch so ein bisschen.
Mathias: Nee, stehen ging ganz kurz. Liegen konnte ich, konnte alles im Liegen machen. Ich bin zum Kunden hingegangen, hab zu dem Zeitpunkt schon in der IT gearbeitet, alles, was mit Apple Support zu tun hatte. Ich hab mir einen kleinen Videobeamer mitgebracht, hab mir das Monitorbild des Kundenrechners auf die Unterseite vom Tisch projiziert und hab im Liegen gearbeitet. Das konnte man natürlich auch nicht mit jedem Kunden machen. Wer liegt denn da unterm Tisch?
Jürgen: Das war eine riesige Einschränkung.
Mathias: Das war eine fürchterliche Einschränkung. Klettern ging immer noch so ein bisschen. Also, sichern konnte ich ja keinen mehr, weil sobald ich stand, tat es weh. Aber ich hatte Freunde, die mich dann schon noch so ein bisschen unterstützt haben. Ich bin in die Halle gefahren, hab mich auf die Matte gelegt, hab eine Route geklettert, runtergekommen, wieder hingelegt. Stellenweise hab ich Kunden gehabt, die sind bei mir ins Haus gekommen, haben sich bei mir mit ans Bett gesetzt, hab da dann ihre Rechner gemacht oder Schulungen gemacht. Es war schon ein ziemlich obskures Leben da. Das war eben halt, nachdem ich dieses wunderbare Geburtstagsgeschenk bekommen hatte. Und … dann hab ich in der Zeit, ja, zwangsweise mit dem Klettern immer mehr aufhören müssen. Und hab dann aber mich dran erinnert, dass ich am Tauchen viel Freude gefunden hatte. Also, früher Geräte tauchen. Dann hab ich gehört, na ja, Schwimmen soll gut für den Rücken sein. Bin dann mal ins Schwimmbad und fand Schwimmen langweilig. Hab gedacht, guck mal, ob du das mit dem Tauchen kombinieren kannst. Hab dann mit dem Freediving begonnen, also einfach mal durch das Schwimmbecken durch getaucht. Dann ging’s los mit 25 Meter, dann hatte ich meine 50 Meter. Irgendwann hab ich sogar 100 Meter Strecke getaucht und hab mir dann auch theoretisch diese ganzen Techniken erarbeitet. Gleichzeitig parallel in Deutschland gesucht, einen guten Arzt zu finden, der mich operiert, was den Rücken angeht. Keiner hat so richtig gefunden, wo es dran liegt. Das war eine Vorwölbung. Um das ein bisschen vorweg zu greifen, letztendlich hat man gefunden, dass ein Reiskorn großes Stück sich an der Bandscheibe abgespalten hatte. Das war auf die Nervenwurzel gewandert und hat auf der Nervenwurzel gescheuert. Da konnte man so viel Schmerzmittel reinschmeißen, das hat nichts gebracht. Das ist dann nachher, also mit reinstechen in die Bandscheibe, ein bisschen was rausbrennen, ging dann zwar diese Vorwölbung zurück, aber das Teilchen hat dann weiter gerieben. Und erst nach der dritten OP hat man das Teilchen dann entfernt. Die vierte OP war dann noch mal eine Not-OP, wo sich alles entzündet hatte. Danach ging es dann aber wieder bergauf. Aber in der Zeit habe ich halt zum Freediving gefunden. Das hat für mich dann … ja, mental so wieder was bewirkt, wo ich … ja, Ziele hatte, wo ich wieder drauf hin arbeiten konnte. Weil … du hattest ja auch schon das Thema, was passiert, wenn das Klettern weg bricht? Wenn ich kein Klettern mehr habe.
Jürgen: Ich glaube, es ist ganz wichtig, dann genau so was zu finden.
Mathias: Ja.
Jürgen: Und nicht zu sagen, oh Gott, ich kann das eine nicht mehr tun, sondern genau diese Offenheit zu haben, wie du es beschreibst mit dem Freediving, und dann auch zu sagen, hey, da kann ich auch eine Erfüllung drin finden.
Mathias: Genau, das ist natürlich am Anfang schwierig auch. Ich bin natürlich erst mal in ein Loch gefallen. Aber ich glaube, wenn man dann einmal irgendwie was gefunden hat, also ich bin dann so ein Typ, ich such mir dann auch was. Ich glaube, wenn man mir das Klettern wegnehmen würde, wäre schon schlimm. Aber es wäre für mich nicht das Lebensende. Also, ich hab die Fotografie, ich hab das Tauchen. Und … ja, aber ich hab mir da dann auch wirklich, wie beim Klettern, dann Ziele gesetzt. Also, das war das Streckentauchen, dann Luft Anhalten war dann. Da bin ich danach auf 4:23 Minuten gekommen mit Luftanhalten.
Jürgen: Ja, wow.
Mathias: Und … dann Tieftauchen war dann noch mal so eine Barriere. Da hab ich dann irgendwann die 40-Meter-Marke geschafft. Aber das war auch so, bis 37m ging es ganz gut. Und die letzten drei Meter, das ist genauso wie in den 10ten Grad reinkommen, da muss man dann richtig viel tun, um dieses kleine bisschen noch oben draufzulegen.
Jürgen: Ist das dann eher kopfmäßig etwas tun oder eher dran glauben? Oder ist das wirklich ein …
Mathias: Beides zusammen. Also, in dem Fall, die meisten denken ja immer, das Unangenehme ist dann irgendwie das Auftauchen oder so, dass man Angst hat, dass man keine Luft mehr kriegt. Das ist alles nicht so schlimm. Das Hindernis war für mich immer der Druckausgleich. Und zwar, wenn ich mit einem Gerät tauche, hab ich immer genug Luft, um mit der Nase die Ohren wieder frei zu kriegen. Beim Freediving muss ich mit der Luft, die ich oben einatme, bis unten auskommen. Also, nicht nur den Sauerstoff, den ich im Blut habe, sondern vor allen Dingen auch diesen Druckausgleich auf den Ohren hinkriegen. Da gibt’s einen Trick, der nennt sich Mouthfill. Das heißt, ich tauche mit dem Kopf nach unten. Und dann muss ich irgendwann aus dem Bauchraum, wo ich viel Luft angereichert habe, wieder was in den Rachenraum hochdrücken. Der Bauch ist ja aber oben, das heißt, ich drück das runter. Das hab ich nie so richtig hinbekommen. Aber ich hab es dann irgendwann geschafft, so viel Luft im Rachenraum zu halten, dass ich das hinkriege, den Druckausgleich, dann irgendwie mit den 40 Metern. Das heißt, ich musste immer umkehren wegen dem Druckausgleich, nicht wegen der Luftanhalterei. Aber es war auf jeden Fall sehr gut für mich, um über diese Zeit drüber hinweg zu kommen.
Jürgen: Und auch wieder Lebensmut zu finden.
Mathias: Ja, Lebensmut zu finden. Und hab dann im Anschluss auch meine Frau kennengelernt, mit der ich jetzt schon seit 13 Jahren glücklich verheiratet bin. Und die dann zum Glück mich auch bei der Taucherei ein bisschen mit begleitet hat. Und die ich auch ans Tauchen herangeführt habe. Und das ist dann ein ganzes Weilchen auch parallel gelaufen, weil so diese Freude, die ich da an der Taucherei hatte, die ich dann mitgenommen habe. Und ja, dann noch ein bisschen ein weiterer Ausflug. Wir kamen vorhin schon mal auf das Wettkampfklettern. Und da … ich war dann den einen Sommer, das war, glaub ich, das erste Jahr direkt nach der OP, 2012, da war ich mit einem Kumpel, mit dem Volker. Hallo, Volker, falls du dies siehst. War eine geile Zeit. Waren wir in Interlaken im Klettergarten. Und in dem Kletterführer von Interlaken steht die … Eiger Nordwand mit drin. Und zwar die Sportklettereien am Genfer Pfeiler. Und da gab’s eine Route, die hieß „Deep Blue Sea“. „Deep Blue Sea“ war für mich natürlich Tauchen. Und das heißt so, weil da ein Wasserstreifen da runterläuft und der Fels da so bläulich ist. Und ist bekannt geworden durch den Dean Potter. Der hat’s quasi als sogenanntes „Base-Solo“ gemacht, also mit einem Fallschirm. Und das ist eine beeindruckende Linie. 7b+ und im Eiger-Ambiente. Und 2012 hab ich das so irgendwie gesehen und so gedacht, das wär schon mal geil. Aber das war so wirklich frisch nach der OP. Und dann gab’s in Hamburg einen Wettkampf, das einzige Mal, dass ich wirklich mal so einen Wettkampf mitgemacht habe, wo ich auch gerne vorne mit dabei sein wollte. Und der hieß „Nordwand-Marathon“. In der Nordwandhalle in Hamburg. Und in Seilschaft klettern und so viele Routen, wie es möglich ist, in acht Stunden Dauer klettern.
Jürgen: Okay.
Mathias: Und das hat mir dann gezeigt, hey, du kannst so eine Leistung bringen. Obwohl du das gerade mit dem Rücken hattest. Ich hab mich zwischendurch auch mal auf den Boden gelegt. Und dann hab ich da acht Stunden Dauer geklettert. Und ja, dadurch bin ich dann eigentlich wieder fit geworden. Es ging dann tatsächlich die „Deep Blue Sea“ nicht … also schon frei, aber nicht Rotpunkt. Das war auch wieder die fehlende Akklimatisation, die uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Aber bei fünf Haken pro Seillänge von 50 Metern ist das schon …
Jürgen: Das auch ist eine psychische Komponente.
Mathias: Das ist eine psychische Komponente. Also Routenfindung ist schon … Man klettert nicht von Haken zu Haken, sondern man klettert irgendwie so. Wir waren froh, dass wir durchgekommen sind und waren trotzdem stolz. Ja, dann irgendwann … mein Projekt gab es immer noch, um jetzt endlich wieder zurückzukommen auf die Fränkische. Aber ich hatte inzwischen auch wirklich ein schlechtes Gewissen, weil diese Route wirklich unangetastet so lange rumlag. Jedenfalls hatte ich die Route in der Zwischenzeit an Lena Herrmann verschenkt, als ihr Vater starb. Und hatte gedacht, sie könnte ihrem Vater da vielleicht noch mal irgendwie ein Denkmal setzen mit dem Routennamen. Das macht man ja gerne. Aber Lena war mit uns einen Tag dort. Sie hätte es eigentlich an dem Tag schon klettern können. Es war ganz knapp, dass sie es nicht durchgestiegen ist. Hat nicht mehr viel gefehlt, aber sie musste dann irgendwie los. Und hat dann nicht die Zeit gefunden, noch mal hinzugehen. Es war Ihr auch nicht so wichtig. Sie hatte, ich weiß nicht, ob es Battle Cat war, was auch immer, ihre erste Elfminus geklettert. Und hatte ihrem Vater damit schon ein Denkmal gesetzt. Das war so für sie okay. Und jedenfalls hatte ich dann, das war, glaube ich, so direkt nach Corona, wieder eine eigene Kletterwand zu Hause in den vier Wänden eingerichtet und war einigermaßen fit. Hatte in Thüringen gerade eine 10- wieder klettern können. Da habe ich gedacht, Mensch, ich hätte schon mal Lust, noch mal in das Projekt da reinzugucken. An der Hohen Geisel. Und ja, habe da dann mal durchgebouldert und dann festgestellt, hey, du kannst plötzlich die Zügel klettern. Dann habe ich Lena angefunkt und gesagt, pass auf, es ist dein Projekt, ich habe es dir geschenkt. Aber das ist jetzt schon wieder so lange her. Also die Route, das ist eine echte King Line, die sollte auch nicht ewig besetzt sein. Ansonsten würde ich es gerne machen. Und sie hat gesagt, mach es gerne. Da habe ich mich natürlich tierisch drüber gefreut.
Jürgen: Eine Rückschenkung.
Mathias: Eine Rückschenkung, ja, genau. Und ja, habe dann angefangen, die Hohe Geisel da zu projektieren. Und das hat dann zum Glück nicht so lange gedauert wie bei der Slimline, wo ich wirklich ein ganzes Jahr lang hingefahren bin, sondern dafür hat dann ein Sommer gereicht. Und dann, ja, es ist häufig gut, sich Zwischenziele zu stecken. Haben wir ja auch schon in anderen Podcasts gehört hier, sich darüber freuen, wenn mal auch einfach eine Kleinigkeit …
Jürgen: Auch wenn was Kleines vorwärtsgeht. Der Weg ist das Ziel, wenn man das so umschreiben darf.
Mathias: Richtig, genau. Und ja, da gab es dann … und da kommt dann tatsächlich, ich bin dann doch wieder da zwei, drei Monate hingerannt. Da kommt dann auch der Ausspruch meiner Mutter her. Weil ich telefoniere immer gern mit meinen Eltern auf der Hin- und Rückfahrt und berichte dann auch, was so am Kletterwochenende gelaufen ist. „Na, wieder nicht geschafft.“ Und meine Mutter dann so, „Wann gibst du endlich auf?“ (Lachen) Mutter, das solltest du von mir wissen. Also, aufgeben ist für mich eigentlich nie eine Option. Wenn ich irgendwo eine Chance sehe, irgendwas zu realisieren, sei es fotografisch, sei es beruflich, ich häng mich in der IT genauso rein bei Kundenproblemen, Gelöst ist es für mich erst, wenn ich sagen kann, das Ding ist kaputt, muss weggeschmissen werden, oder ich hab’s gefixt. Und auch wenn’s auf meine eigenen Kosten geht und meine eigene Zeit da verbraten wird, das ist mir immer wichtig. Und ja, genauso hab ich’s dann da auch gehandhabt. Und ja, dann gab’s aber erst mal ein Zwischenziel, weil an der Hohen Geisel ist … also, die erste Schlüsselstelle ist definitiv unten. Das ist ein sehr weiter Zug. Und … Ja, das war schon ein bisschen merkwürdig, als ich das erste Mal wieder rein ging in die Route. Wusste ich nämlich noch genau, es gab da ein Zwei-Finger-Loch. Das ist genau da, wo der weite Zug von weg geht. Und das war so tief, dass man zwei Finger bis zum Anschlag reinbekommt. Die musste man allerdings mit drei Lagen Tape umwickeln und dann einmal anreißen, und dann war das Tape durch. Der Griff war also so scharf.
Jürgen: Okay.
Mathias: Da hab ich mit der Lena schon drüber gesprochen. „Wie siehst du das?“ Es wird auch grad in Franken gern mal gemacht, dass ein Loch ein bisschen rund gefeilt wird. Das wird von vielen High-End-Kletterern auch außerhalb Frankens so gemacht. Und ist auch ein Thema, was man kontrovers diskutieren kann. Weil ja, es wird sich natürlich, wenn die Route häufig geklettert wird, irgendwann auch so abklettern und rund werden. Dann kann ich’s auch gleich rund feilen. – Klar. Aber in dem Fall war da tatsächlich jemand drin in dieser Route und hat das Loch so weit rund gefeilt, dass da plötzlich nicht nur zwei, sondern drei Finger reinpassten.
Jürgen: Wie war das mit den anderen Griffen?
Mathias: Das war nicht schön. Bei den anderen Griffen kann ich’s nicht 100 Prozent sagen. Da war auch mit der Drahtbürste ziemlich massiv drüber geputzt worden. Aber würde ich sagen, das ist eher die Patina, die runtergeputzt wurde und nicht der Griff vergrößert. Aber bei dem einen Griff kann ich’s 100 Prozent sagen, das war ein Zweifingerloch, und jetzt ist es ein Dreifingerloch. So, okay. Kann man sich natürlich drüber ärgern, kann man natürlich auch das Loch dicht schmieren. Aber es ist die Frage, ob’s noch geht. Für mich wär’s sicherlich nicht mehr gegangen. Ich habe mit Lena natürlich darüber gesprochen, es war mir schon vorher klar, dass sie es nicht war. Ich weiß es bis heute nicht. Ich hab natürlich Vermutungen, wer es gewesen sein könnte.
Jürgen: Aber ist schade, dass das passiert ist. A war’s ein Projekt, kann man auch dazu stehen, wie man will. Aber Griffvergrößerung …
Mathias: Genau. Und deshalb heißt auch die erste Variante, und die umgeht die obere Schlüsselstelle. Es ist eigentlich fast ein bisschen die logischere Linie, weil es ist die leichteste Linie, wenn ich an der Stelle an der Wand einsteige und dann halt ein bisschen nach links raus und diese obere Schlüsselstelle umgehe. Und ja, da hat’s auch gereicht, einen weiteren Haken da oben dazuzusetzen. Und so ließ sich das wunderbar klettern. Und aufgrund der Griffmanipulation, die ich da vorgefunden hatte, heißt das Ding jetzt „Crime of the Century“. Angelehnt, dass ich es ein ziemliches Verbrechen finde, in anderer Leute Projekten Griffe zu manipulieren. Und dann natürlich an das Supertramp-Album „Crime of the Century“, was musikalisch mich mein Leben lang begleitet hat und ich immer noch gerne höre. Und ja, das Ding ist dann so … also, 9+/10- hab ich’s mal bewertet. Die Geiselhaft ist dann glatt 10- geworden. Lena hatte damals sogar 10-/10 gesagt, hätte man sagen können. Aber sie bewertet auch lieber ein bisschen härter. Und gut, nach den Manipulationen jetzt, es hat schon ein paar Wiederholer gegeben, die haben gesagt, vielleicht ist es auch nur 9+/10-. Wie’s einem liegt oder nicht. Es hat auch gute Kletterer schon gegeben, die gedacht haben, sie können’s gleich nach ein, zwei Go’s da klettern. Und es sind ein paar harte Züge drin, die dann doch nicht so reinlaufen, wie man’s am Anfang denkt. Und dann hat sich noch eine Kombination ergeben, wieder ein schönes Wortspiel. Ganz Links da gibt’s eine Route … Oh Mensch, jetzt stolper ich selber grade. Hast du’s grade auf deinem Zettel noch? – Nee. Ähm … Jetzt ist es weg. (Lachen) Also, die geht …
Jürgen: Dann blenden wir’s noch ein danach.
Mathias: Ja, genau. Es ist also auch wieder ein Wortspiel mit … es ist die 9- links, und diese Kombi steigt halt ganz rechts ein, und dann geht durch den kompletten Felsen durch. Und … Alter, es ist es weg. (Lachen)
Jürgen: Wir blenden’s dann einfach in grün wunderschön rein.
Mathias: Danke, Jürgen. (Lachen)
Jürgen: Es sei Dir völlig verziehen, ja.
Mathias: Ah, jetzt weiß ich’s wieder. Halbzeit, heißt die 9-, Halbzeit.
Jürgen: Ah, okay.
Mathias: Und die andere, da sie durch den ganzen Felsen durchgeht, heißt Vollzeit. So.
Jürgen: Ah, okay. Ja, ist klar. (Lachen) Ja, und vor allem ist es in Franken ja auch so, dass du irgendwann nicht nur dein Glück mit der Tweet gefunden hast, sondern dass ihr tatsächlich auch Richtung Franken ziehen werdet.
Mathias: Ja, wie so manch anderer, der dann im Alter, als Altersruhesitz hier in die Fränkische zieht. Das ist eigentlich schon lange ein Traum. Das Berufliche wird noch mal spannend werden. Also, wir bauen tatsächlich gerade ein Häusle in Waischenfeld. Das kommt tatsächlich jetzt nächste Woche. Das ist ein kleines Fertighaus. Das Grundstück ist schon vor zwei Jahren gekauft worden. Und, ja, wir hoffen dann, hier irgendwann in Franken Fuß fassen zu können. Im Moment ist es so, dass wir fast jedes Wochenende hier runterfahren.
Jürgen: Ich wollt grad sagen, jetzt bist du durch die Slimline hergefahren, du bist viel durchs fränkische Klettern hergefahren. Die Verbundenheit führt jetzt auch dazu, dass ihr beide hier tatsächlich Sesshaft werdet. Da freu ich mich sehr. Ja. Stellt sich allerdings die Frage, was passiert, die Leidenschaft des Fotografierens kannst du hier auch machen. – Ja. Du hast ja noch eine Leidenschaft, nämlich die des Schreibens. Du hast für das Rotpunkt-Magazin mal Artikel gegeben. Da hast du vorhin schon den Andreas Kubin erwähnt. Aber viel mehr, und das find ich ja unglaublich, gibt es, und das war in der Moderation auch schon, den „Klemmkeil“, das norddeutsche Klettermagazin.
Mathias: Genau.
Jürgen: Und, das macht ihr beide ja, Tweet und du, mit Herzblut, mit dem ganzen Redaktionsteam. Wie bist du dazu gekommen zu dem Klettermagazin?
Mathias: Ja, also. Auch wenn wir jetzt nach Franken ziehen, den „Klemmkeil“, solange man uns da haben will, werden wir auch weiter machen, auch wenn wir hier unten wohnen.
Jürgen: Das ist schön zu hören, denn ich kann immer nur einladen. Ja, wir haben natürlich auch ein Klettermagazin hier, mit dem Steinschlag, aber euer, der „Klemmkeil“, und das ist die letzte, die wir gerade sozusagen, die ist im Dezember ’24 rausgekommen. Das sieht man schon, also, da ist richtig viel mit drin.
Mathias: Genau, da steckt viel Herzblut drin. Und, ja, also auch, wir müssen mal schauen, wie es dann läuft hier. Also, im Moment ist es natürlich ein Sprung ins kalte Wasser. Wir sind beide selbstständig. Tweet ist Grafiker, wie man da schon sieht, illustriert, macht Webseiten. Ob wir hier unten Kundschaft finden werden, ich bin im IT-Support inzwischen, mach alles, was mit Apple zu tun hat. Vom Server bis zum Grafikarbeitsplatz, Architekten, Stadtplanungsbüros betreue ich. Und, es wird vielleicht, wenn’s dumm läuft, fahren wir die nächsten zehn Jahre noch weiter Richtung Hamburg. In die umgekehrte Richtung, wohnen in Franken und arbeiten in Hamburg. Aber ich hoffe natürlich auch, dass wir hier unten in Franken Fuß fassen können und ein paar Kunden finden, die uns hier buchen. Und, ja, und den „Klemmkeil“ hoffen wir natürlich genauso, dass wir den weitermachen dürfen. Weil das „Klemmkeil“-Heft ist etwas, was mich, also meine gesamte Kletterkarriere begleitet hat. Also, dieses Heft gibt’s es, der Vorgänger hieß „Der Haken“. Das war noch in den 70er-Jahren. Und dann, glaub ich, das erste „Klemmkeil“-Heft ist so, glaub ich, 1979, ’80. Also, grade als ich angefangen habe mit Klettern, ist der erste „Klemmkeil“ rausgekommen. Und, kam zwischen ein bis zwei, nee, drei oder viermal, ich glaub, maximal hat’s ihn viermal im Jahr gegeben. Aber, irgendwann kam er tatsächlich auch nur noch einmal im Jahr raus. Dazu sind wir so ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinder gekommen. Das ist … ich hab schon häufiger was für den „Klemmkeil“ geschrieben. Und bin von … also, Axel Hake ist unser erster Vorsitzender der IG Klettern in Norddeutschland. Macht das ganz, ganz hervorragend mit ruhiger, führender Hand. Und auch mit einer guten, kreativen Ader. Und hat, also, selber das Heft in der Vergangenheit, auch wiederbelebt. Also, ursprünglich ist der „Klemmkeil“ mal entstanden als, sag mal, Revolutzerblättchen der DAV-Jugend, die sich vom Alpenverein überhaupt nicht mehr verstanden gefühlt hat. Die den Alpenverein einfach viel zu konservativ fand. Und da so ein bisschen Rebellion geschlagen hat. Ja. Und ist aber tatsächlich auch vom Alpenverein dann mit bezuschusst worden. Also, dass das Heft gedruckt werden konnte. Das war dann mal zwischenzeitlich kurz davor, dass eben wirklich die Gelder gesperrt wurden. Also, weil das Heft auch politisch wurde, also damals mit der Atomkraftbewegung, Gorleben und so weiter, das war dann auch ein Thema in dem Heft. Oder, relativ aktuell wieder, Stationierung der Pershing-Raketen. Also, das war, diverse „Klemmkeil“-Hefte, in denen das da auseinandergenommen wurde. Und irgendwann fragte ich Axel so, sag mal, ich hab wieder ein Artikel geschrieben. Also, dachte mir, Ihr müßt mich jetzt nicht immer fragen. Ich werde mal proaktiv, hab jetzt was geschrieben. Sagt er, ich weiß gar nicht, ob ich das schaffe, dieses Jahr überhaupt ein Heft rauszubringen. Ich arbeite gerade am Harz-Kletterführer hier, bin also voll eingespannt. Und, ja, dann sagte ich, Mensch, vielleicht kann Tweet Dir ja unter die Arme greifen. Die ist schnell, was Layouten angeht. Sagte er, ja, klar, pst, da, bitteschön.
Jürgen: Und dann hattet Ihr sozusagen schon das Layout des Hefts.
Mathias: Genau, kleinen Finger gereicht, ganzen Arm weggezogen. Aber in dem Fall, also, positiv gesehen, wir haben da sehr viel Freude dran gefunden. Und, ja, wenn Tweet und ich was machen, dann machen wir’s immer ziemlich gründlich. Tweet ist auch jemand, der sehr mit Herzblut an so Geschichten rangeht. Und das Heft hatte früher halt so 40, 50 Seiten. Und, inzwischen ist also über 100 Seiten eigentlich immer Standard. Und die letzten Hefte waren jetzt also über 150 Seiten immer. Und, ja, es hat sich natürlich auch irgendwie entwickelt. Wir sind inzwischen dazu gekommen, dass wir uns also immer ein Heft-Thema nehmen, ja. Und, also auch ganz bewusst, nicht so dass, was sonst so im Alpinen Blätterwald zu finden ist, sondern dass jetzt so Gebietsthemen genommen werden. Und „Reise nach hier“, „Reise nach da“. Das hat’s beim Klemmkeil auch Jahre lang gegeben. Da hat jeder so seine eigenen Reisen publiziert. Und was er für tolle Touren gemacht hat und so weiter. Und, davon möchte ich eigentlich gern ein bisschen weg. Du hattest ja gerade mit deinem letzten Interview mit der Irmgard auch so das Thema, so was, was nehme ich redaktionell so rein, so an Themen. Und dadurch, dass wir also kein kommerzielles Heft sind, sondern das Heft finanziert sich rein aus den Mitgliedsbeiträgen. Also, kann ich auch immer nur wieder sagen, Leute, werdet Mitglied in der IG Klettern.
Jürgen: Ja.
Mathias: Es hilft nicht nur beim Sanieren der Haken. Es hilft dabei, die Klettergebiete offen zu halten. Schnittstelle zwischen Naturschutz und Kletterern. Das macht alles die IG. Und wenn ihr in Norddeutschland Mitglied seid, dann gibt’s halt den Klemmkeil in gedruckter Form und wird einmal kostenlos im Jahr zugeschickt. Ansonsten, wer nicht Mitglied in Norddeutschland ist, kann sich das Heft gerne als PDF downloaden. Ich hab inzwischen alle Hefte von über 40 Jahren Klemmkeil eingescannt, mit OCR-Software durchlaufen lassen und Online gestellt. Das ist also abrufbar.
Jürgen: Und das ist eine richtige Fundgrube. Also, das ist wirklich toll, weil du sagst, es hat eigentlich mit deinem Kletterbeginn begonnen, der Haken oder der Klemmkeil.
Mathias: Ja.
Jürgen: Und ging ja bis zum Heft im Dezember 2024, wenn ich da mal kurz nachfragen darf. Das Hauptthema, was du hier drin und was ihr hier drin hattet, war etwas, was in unserem Podcast auch schon kam, ganz am Anfang.
Mathias: Ja.
Jürgen: Soloklettern. Und da habt ihr wirklich viele, viele Menschen angefragt. Sag mal, wer sagt denn alles, was zum Thema Soloklettern, damit wir dieses Heft auch mal wirklich gebührend feiern? Weil ich find’s wirklich grandios, was ihr da gemacht habt.
Mathias: Ja, danke. Also, kurz noch … Also, wir machen jetzt seit einigen Jahren immer so ein … dass wir ein festes Thema vorgeben. Wir haben … meistens haben wir Hobbyautoren da mit drin. Ja, eben auch … es gibt kein Geld für das, was da im Heft gedruckt wird. Und können aber auch dadurch, dass wir damit kein Geld verdienen müssen, können wir da Themen anfassen, die für eine normale Kletterzeitschrift vielleicht einfach ein bisschen zu heiß sind. Wir haben das Thema Toleranz schon mit drin gehabt. Wir haben auch die Corona-Zeit da so ein bisschen aufgearbeitet. Wir haben das Thema Fairness da mit drin gehabt. Also, auch noch mal rückblickend. Es ist natürlich immer als Redakteur … die Ideen, die … die fallen einem halt meistens aus dem persönlichen Umfeld ein. Also da sind natürlich immer so kleine Initialzündungen. In dem Fall mit dem Griffe-Chippen war das Thema. Da ging’s dann halt um Fairness. Das war dann auch das Olympia-Thema, Olympia war gerade in dem Jahr. Und inzwischen bin ich auch ein bisschen mutiger geworden und frag dann auch mal ein bisschen Kletterprominenz an. Wenn man fragt, mehr als eine Absage kann ich nicht bekommen.
Jürgen: Wen hast du denn zum Thema Solo angefragt?
Mathias: Komm ich gleich noch drauf. Sorry, dass ich ein bisschen aushole. Aber ich find’s halt beachtenswert, dass ein Magazin, was kein Geld an seine Autoren zahlt, dann auch tatsächlich mal einen Adam Ondra Artikel mit drin hat. Also, zum Thema Chipping, der Initiator war eben halt die Geiselhaft. „Crime of the Century“.
Jürgen: Genau, das war ganz interessant.
Mathias: Das war ein Artikel, den hat der Adam Ondra auf seiner Webseite gehabt. Auf Englisch. Und ich hab angefragt, sag mal, ich find das so gut auf den Punkt gebracht, dieses Chipping-Thema. Dürfen wir den Artikel übersetzen, dürfen wir den drucken? Haben wir sogar Bilder von ihm zur Verfügung gestellt bekommen und durften das drucken, also ganz großes Kino.
Jürgen: Sehr schön.
Mathias: Ja, und so ist es jetzt halt mit dem Heft halt auch. Das, ja, initiiert ist das Ganze worden, also von Axel Hake hatte die Idee in dem Fall mit dem Solo-Thema. Aber schon Anfang 2024 gehabt, und dann wurde es ganz konkret, weil leider einer unserer langjährigen Autoren, der Martin Feistl, leider tödlich verunglückt ist bei einem Solo. Und Martin Feistl kannten Tweet und ich jetzt auch persönlich von einigen Kletterwochenenden …
Jürgen: War auch in der „Fränkischen“ oft aktiv.
Mathias: Genau.
Jürgen: Und schöne Fotos von ihm gemacht.
Mathias: Und Martin ist halt auch jemand, ein Thema hatten wir auch schon, Greenpoint-Klettern. Martin hat’s also da wirklich ganz auf die Spitze getrieben mit, ich glaub, Altmühltal irgendwie. Eine 8B hat er auch clean geklettert, wo er dann am Kühlschrank mit einer Hand Sanduhrfädeln geübt hat. Und das ist … das waren also wirklich herausragende Leistungen. Und ja, so jemand ist leider von uns gegangen wegen des Solo-Kletterns. Sehr, sehr kontroverses Thema. Und haben gesagt, okay, das muss jetzt einfach mal auf die Agenda. Lustigerweise im selben Jahr, jetzt auch, glaube ich, im Alpenverein Jahrbuch ist es auch Thema gewesen, also Solo-Klettern. Und ich hab auch da wieder ganz frech einige Prominente angefragt. Und ja, schade, vom Heinz Zak haben wir zum Beispiel leider nicht die beiden Sensationsbilder da bekommen. Das Bild von Wolfgang Güllich aus „Separate Reality“ und von ihm aus „Separate Reality“. Also zumindest diese beiden Bilder hätte ich wahnsinnig gerne drin gehabt. Aber, muß man auch verstehen, der lebt von der Fotografie. Und da bin ich der Letzte, der dann sagt, hab ich kein Verständnis für, wenn jemand das nicht umsonst rausgeben will. Wobei ich’s schade finde, weil so ein Community-Projekt, wo es halt mal nicht ums Geld geht, sondern einfach auch mal Sachen abseits des Mainstreams anzusprechen, die ich sonst vielleicht so nicht so sagen kann. Also Leute, wenn ihr Lust habt, was zu schreiben für den Klemmkerl, ihr müsst nicht aus Norddeutschland kommen, egal woher, immer gerne genommen.
Jürgen: Okay. Das ist eine Aufforderung.
Mathias: Genau. Sachen, die ihr woanders nicht sagen dürft, immer her damit. Es sei denn, es ist jetzt völlig unter der Gürtellinie. Und …
Jürgen: Unabhängig von Heinz Zack. Wer hat denn, wen finden wir denn in dem Klemmkerl drin?
Mathias: Ja, genau. Also in dem letzten Heft.
Jürgen: Ich bin gespannt.
Mathias: Da haben wir … in dem Fall hab ich da richtig, richtig drum gekämpft. Weil der Solo-Kletterer schlechthin in meinen Augen ist Alain Robert.
Jürgen: Der französische Spider-Man.
Mathias: Ja, genau. Daher ist er bekannt. Alex Huber ist natürlich auch jemand, der es sehr weit getrieben hat. Alex Honnold hat sicherlich das Jahrhundert-Solo gemacht. Ich weiß nicht, ob das jemals überboten werden wird. Also auf eine so … solche Länge, solche Leistung in einer so unglaublich kurzen Zeit zu bringen, das ist schon … kaum zu toppen. Aber Alain Robert sagt selbst, das sagt Alex Honnold, das sagt Alexander Huber, der hat Solos gemacht. Und ich kann nur jedem empfehlen, googelt mal nach Alain Robert, „La nuit du Lezard“. Da gibt’s zwar von ihm selber, gibt es kein Video aus der Route, aber es gibt von jemand anderem, der das Ding mit Seil klettert. Da sieht man, was das für unglaublich unsichere Züge sind. Also da in einem Bereich, der damals … also … 8a+ / 8b, das war zum Zeitpunkt, wo 8b, 8c Weltlimit war.
Jürgen: Weltlimit war, genau, das war das Unglaubliche da dran.
Mathias: Und der hat … da also Sachen … ja, Solo gemacht. Das ist eigentlich absolut unvorstellbar. Und es ist von daher unvorstellbar, wenn Wolfgang Güllich sagt, dass er irgendwie Separate Reality mit einer 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit klettert. Es geht immer nur um diesen einen Zug, der riskant ist, da zur Dachkante hin. Dann ist das immer noch 20 Prozent unsicher. Aber Alain Robert ist stellenweise so losgegangen, wo er gesagt hat, da hat er eine Chance von 50-50. Und der Mann ist jetzt 63, das ist schon … das ist irgendwie ein Wunder, dass der noch lebt. Und … ja, den haben wir angefragt, und das war ein … er hat uns sehr schnell eine Zusage gegeben, aber bis es dann zum Interview gekommen ist, war es sehr, sehr, sehr schwierig. Er war dann gerade in Europa unterwegs, ein neues Buch zu promoten. Kann ich sehr empfehlen, wer Französisch lesen kann. Es ist echt ein tolles Buch. Also, nicht nur der geschriebene Text, sondern auch die Bilder. Ich hab das Buch eingescannt und mir übersetzen lassen, weil ich nicht Französisch spreche. Meine Schwester hat das Interview geführt. Er lebt auf Bali. Und das war bei ihm, glaub ich, nachts um drei bis morgens um vier. Da haben die das Interview geführt. Ich habe es dann transkribiert und ins Deutsche dann übersetzt und … ja, gedruckt. Und dann eben halt zum Glück, auf Grund dieses Buches, haben wir das Vorwort vom Alexander Huber und vom Alex Honold, eben dieses Vorwort aus dem Buch, auch mit reinbekommen. Das heißt, wir haben die wichtigsten Soloisten da auch mit drin. Aber gleichzeitig haben wir … eben auch den Otto-Normalverbraucher, sag ich mal, der auch solo klettert. Und wir haben’s von allen Seiten beleuchtet. Von dem ganz Extremen bis hin … ich selber hab auch einen Artikel drin mit … „Ich mach’s nie wieder.“ Ich hab so die verschiedenen Spielformen mal durchgespielt.
Jürgen: Verrate nicht zu viel. Ich glaube, man sollte den Klemmkeil… Du hast uns sehr neugierig gemacht, gerade das Solo-Klettern ein sehr umstrittenes Thema, das man aus vielen Blickwinkeln so beleuchten. Ich glaub, die Irmgard Braun ist auch drin vertreten.
Mathias: Richtig.
Jürgen: Hat auch einen Artikel.
Mathias: Genau.
Jürgen: Also, sehr, sehr lesenswert. Und, ja, Tweet macht tolle Illustrationen dazu. Ich kann immer nur sagen, es lohnt sich, das auch einfach digital anzuschauen. Ich hoffe, dass ihr da noch eine größere Gemeinde findet.
Mathias: Ja, danke. Ich verrate nichts von den Artikeln, aber ich geb nur ein paar Stichworte da zu meinem Artikel. Ja? Das unfreiwillige Solo. Ja? Das nackte Solo. (Lachen) Und, ja, das nur so als Stichworte. Es gibt also sehr viele verschiedene Spielformen. Genau.
Jürgen: Ja. Herzlichen Dank, Mathias. Jetzt haben wir einen großen Streifzug gemacht aus deiner Jugend, wie du’s begonnen hast. Begonnen mit einem Teil auch mal Solo-Klettern. Der Klemmkeil, der das Solo-Klettern auch behandelt. Deine Touren eigentlich weltweit. Und Gott sei Dank im Frankenjura mit der Geiselhaft, die dich wirklich geprägt hat. Wo du auch wirklich dann durch das Tauchen wieder herausgekommen bist, sozusagen aus einer Krise. – Ja. Wenn du dir das so gesamt, diese 40 Kletterjahre sind es? Ja?
Mathias: 45 sogar. 45 wär’s dieses Jahr.
Jürgen: 45 sogar? Wenn du dir die anschaust, was hat für dich so das Klettern dann bewirkt?
Mathias: Ja, also, Klettern hat mich natürlich mein ganzes Leben lang begleitet. Und es hat, in den verschiedenen Lebensabschnitten, auch immer verschiedenste Bedeutung gehabt. Es war am Anfang natürlich die Sturm-und-Drang-Zeit, wo ich mir selber Dinge beweisen musste. Stichwort die Drei-Nord-Wände, Stichwort El Capitan, der Shield. Dann mehr die Sportkletterphase. Und die Fotografie. Ein gewisses Leben von Ästhetik, also das schöne Bild. Aber auch die schöne Bewegung. Also, für mich war das Klettern Ballett in der Senkrechten. Also, das hab ich auch gerne immer so, wenn man von den Medien dann mal gefragt wurde, Klettern, stellen sich die meisten halt immer mehr als Kraftsport vor. Ich sag, nein, für mich ist es Ballett in der Senkrechten. Und, ja, und zu guter Letzt jetzt mehr im Alter, sag ich mal. Hat das Klettern so eine Bedeutung, das bringt eigentlich eine Route aus der Fränkischen vom Jürgen Kremmer am Stübiger Turm, bringt das eigentlich wunderbar auf den Punkt. Kann ich nur empfehlen, wer den Grad klettert, ist im neunten Grad, 9-/9. Wird manchmal gesagt, da sind vielleicht gechippte Griffe drin. Ich behaupte mal, das ist nicht gechippt. Der Fels ist da so. Es sind wunderschöne Bewegungen, eine unheimlich technische Route. Und es ist so ein wirklich totaler Flow, weil’s so technisch ist. Es ist eine „kurze Zeit Unendlichkeit“. Und es ist genau das, wo mich Klettern so reinbringt, so ein Flow, wenn’s dann gut läuft. Und es ist eine Auszeit vom Kopf her, da kann ich an nichts anderes denken. Es ist anders als beim Tauchen. Selbst beim Freediving können mir Sachen durch den Kopf schießen. Das geht beim Klettern nicht. Da muss ich voll und ganz hier und im Jetzt sein. Deshalb ist das „kurze Zeit Unendlichkeit“.
Jürgen: Im Hier und Jetzt. Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für deine Zeit, Mathias, und für den tollen Podcast.
Mathias: Danke. Danke, dass ich hier sein durfte.
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Interesse?