Eiger Nordwand 2014-2015
Date
2015
Category
kletternAbout This Project
Im Schotter von Mordor
Hinterstoisser Quergang, Todes-Biwak, Spinne. Geschichtsträchtige Namen in einer geschichtsträchtigen Wand. Als vierzehnjähriger Junge las ich begeistert Anderl Heckmair’s oder Toni Hiebeler’s Eiger Nordwand Schilderungen. Helden der Bergwelt, die ihr Leben im Kampf mit der Wand riskierten. Nicht im Traum dachte ich damals daran, dass ich mich selbst einmal in einer dieser Wände wiederfinden würde. Im August 1986 war es dann doch soweit. Eigentlich sollte es in die Petit Jorasses Westwand gehen. Das Wetter war gut, die Verhältnisse ideal und als einer aus unserer Vierer-Gruppe vorschlug, im Anschluss noch den Walker-Pfeiler zu machen fragte ich: „warum nicht gleich, jetzt sind wir noch frisch?“ Und der Walker klappte auf Anhieb.
Mit einem Male war die Angst vor den großen Wänden gebrochen. Wetter und objektive Gefahren waren mir aus vielen Bergurlauben und leichteren Touren bekannt, das Können für die Schwierigkeiten brachte ich aus dem Klettergarten mit. Hat man eine Nordwand geklettert, will man sie alle drei machen. Und so stand ich dann schon wenige Tage nach dem Walker Pfeiler am Fuße der Eiger Nordwand. Bei Nacht und Nebel schlugen wir unser Zelt auf der kleinen Scheidegg auf. Die Wand kannten wir bis dahin nur von Bildern. Und so verfehlten wir den Einstieg dann in der Dunkelheit völlig, verstiegen uns und seilten bei Tagesanbruch wieder ab. Die Eiger Nordwand lässt sich halt doch nicht mal eben auf die Schnelle machen.
Im Herbst kamen wir dann wieder, besser vorbereitet als das letzte Mal. Am Nachmittag stiegen wir in die Wand ein, um am ersten Pfeiler das erste Mal zu biwakieren. Die vorhergehende Nacht waren wir von Hamburg nach Grindelwald durchgefahren und nun entsprechend müde. Und so verschliefen wir am nächsten Morgen erst einmal völlig. Auf der kleinen Scheidegg fuhren bereits die Bahnen, Menschen liefen auf und ab. Wir beeilten uns, um nicht in den berühmt berüchtigten Steinschlag zu kommen, der einsetzt, wenn die Sonne den Gipfel erreicht. Hinterstoisser Quergang, Schwalbennest, erstes Eisfeld, lauter geschichtsträchtige Namen. Das zweite Eisfeld will dann kein Ende nehmen. Die Wand ist so riesig, dass es uns wie eine Wand in der Wand vorkommt. Schließlich überrascht uns die Dunkelheit, so dass wir in der Randkluft des zweiten Eisfeldes biwakieren müssen und unser Tagesziel, das Todes Biwak auf dem Bügeleisen, nicht mehr erreichen. Der nächste Tag sieht uns dann Eis hackend in der Rampe. Der berühmte Wasserfall-Kamin, der im Sommer allen Nordwand-Aspiranten eine Dusche verpasst, ist gefroren. Oder besser gesagt: 2 cm Eisauflage bedecken den Fels im steilsten Teil. Ich bin dran mit dem Vorsteigen. Ein wackeliger Klemmkeil findet Platz in einem Riss. Dieser befindet sich bereits einige Meter unter mir, als mir plötzlich das Eis unter den Füssen wegbricht und ich nur noch an Eisbeil und Eisaxt hänge, die beide nur 1,5 cm im Eis stecken. Damals waren das noch keine High Tech Geräte und der Begriff „Dry Tooling“ wurde erst 20 Jahre später erfunden. Doch ich kann den Sturz verhindern und die Mitgliedschaft in der Schweizer Rettungsflugwacht bleibt ungenutzt. Dann stehen wir schließlich am Götter-Quergang. Laut Kletterführer der letzte gute Biwakplatz vor dem Gipfel. Wieviel Uhr mag es wohl sein? Die Antwort dazu liegt im Handschuhfach im Auto. Bevor wir also wieder im Dunkeln in irgend einer Randkluft biwakieren müssen, machen wir es uns schon hier bequem und warten auf die Dunkelheit. Und warten, und warten und warten. Irgendwann kommt die Erkenntnis, dass wir es vielleicht doch noch bis zum Gipfel geschafft hätten. Aber das Wetter ist stabil, die Sicht phantastisch und die Temperatur eiskalt. Dies verschont uns zum Glück vor der schlimmsten Waffe des Berges, dem Steinschlag. Denn die späte Jahreszeit haben wir nicht umsonst gewählt. In unseren Schlafsäcken können wir so den Blick auf die 1000 m tiefer liegende und von den letzten Sonnenstrahlen beschienene kleine Scheidegg genießen. Ungewöhnlich für 1986: wir haben beide einen Walkman dabei. Rollo hört Nena, ich Dire Straights, „Brothers in Arms“. Das ist hier oben sehr intensiv und passt irgendwie besser als „99 Luftballons“, finde ich! Am nächsten Tag geht es dann zum Frühstück durch den Götter-Quergang und die Spinne. So ausgesetzt hätten wir es dann doch nicht erwartet. Es folgen die Ausstiegsrisse und das Gipfel-Eisfeld, ich japse bei jedem Schritt nach Luft. Hamburg liegt auf Meereshöhe, hier oben ist man auf fast 4000m. Hätte man sich denken können. Naja, mit 19 Jahren denkt man eh, dass die meisten Regeln der Eltern, der Lehrer oder der Physik im allgemeinen für einen nicht gelten. Am Mittag sind wir dann aber doch am Gipfel und sitzen nur mit Unterhose bekleidet in der warmen Gipfelsonne, jedenfalls kommt sie uns nach drei Tagen Nordwand-Kühlschrank richtig warm vor. Die im Helikopter in wenigen Metern Entfernung vorbeifliegenden Touristen freuen sich jedenfalls über die leicht bekleideten Männer, die da auf dem Eiger nackend herumhüpfen. Nicht komisch, wenn man gerade die Hose runter hat um ungestört die Notdurft zu verrichten. Zum Glück sind wir nicht in Malaysia und der Eiger nicht heilig, sonst hätten wir womöglich noch irgendwo einsitzen müssen.
Der Empfang am Abend ist dann nicht so heroisch, wie in den alten Büchern: nach bitten und betteln bekommen wir noch eine Brotzeit auf der kleinen Scheidegg und verbringen ein weiteres Biwak auf einem Holzstoß vor der Bahnstation. Held sein hatten wir uns anders vorgestellt!
Eine Woche später, nach einem kurzen Abstecher zum Ith, klappte dann auch noch die Matterhorn-Nordwand und die Trilogie war abgeschlossen. Peinliches Nachspiel: bei einem Interview im Hamburger Abendblatt werde ich gefragt, ob Reinhold Messner ein Vorbild für mich ist. Das verneine ich und versuche dem Reporter den Unterschied zwischen Klettern und Höhenbergsteigen zu erklären. Wie Surfen und Hochsee-Segeln, man kann es nicht vergleichen. Um es noch bildlicher für ihn zu machen sage ich, dass ich kein Höhenbergsteigen mache, aber im Klettergarten vermutlich besser als der Reinhold klettere. Schlagzeile: „Mathias Weck – ich bin besser als Reinhold Messner“. Oh Gott war das peinlich! Zum Glück gabs da noch kein Internet, der Shitstorm wäre mir gewiss gewesen. Immerhin bekam ich einen anonymen Brief, in dem mich jemand ziemlich zur Sau machte. Autsch! Und meinem Schulleiter fiel auf, dass der Zeitraum der Durchsteigung der Wände ja gar nicht in den Schulferien, sondern in der Projektwoche gelegen hatte. Ob ich da denn mein eigenes Projekt gemacht hätte? Mist! Ohne den Artikel hätte es keiner bemerkt, dass ich mich nirgends eingeschrieben hatte. Egal, letztendlich sah er es mit Humor und war stolz auf meine Leistung.
Einmal Eiger, nie wieder Eiger. So denken die meisten, wie auch Robert Jasper in seinem neuen Eiger Buch schreibt. Oder es gibt die, für die die Wand etwas Magisches hat. Die kommen immer wieder. Zu denen hätte ich mich eigentlich nicht gezählt. Erst recht nicht, nach dem ich 2011 vier mal an der Bandscheibe operiert wurde. Zu der Zeit fing ich dann mit dem Apnoe-Tauchen an und das tiefe Blau des Meeres gewann an Faszination. Wer den Film „Im Rausch der Tiefe“ mal gesehen hat, kann das vielleicht nachvollziehen. Aber als ich 2012 langsam wieder ins Klettern reinkam, bekam ich den Eiger dann doch zu Gesicht, bei einem Besuch bei Volker in der Schweiz. Wir kletterten in Interlaken, mit Blick auf den Eiger. Und in dem Auswahl-Führer war ein Topo der Route „Deep Blue Sea“ drin. Das brachte „IHN“ mal wieder ins Gedächtnis zurück. Reizvolle Route dachte ich, besonders der Name gefiel mir. Es folgte am nächsten Tag dann noch ein Frühstück in Grindelwald, mit Blick auf den nahen Eiger, um ihn mal meiner Frau zu zeigen. Schau mal Schatz, als ich noch jung und fit war habe ich sowas geklettert, Wahnsinn, oder? So ist das wohl dachte ich, wenn man älter wird. Dann schaut man gerne noch mal an den Orten vorbei, in denen man in der Jugend Abenteuer erlebt hat. Jaja, bald werde ich das Klettern vermutlich an den Nagel hängen und den Wanderstock schwingen. Es kam anders. Ende 2012 schrieb ich mich für den sogenannten „Nordwand Marathon“ in einer Kletterhalle in Hamburg ein. Slogan: „Wir klettern die Eiger Nordwand“. Haha, das sollte wohl gelacht sein, hab ich doch schon gemacht. Naja, hier ging es um Plastik und Tempo, beides nicht so meine Stärken. Wir landeten auf dem zweiten Platz, kletterten in 8,5 Stunden jeder 58 Routen („Seillängen“) und ich war überrascht, dass ich alter Sack nach den ganzen OP’s noch zu sowas in der Lage war. Und so studierte ich danach das erste Mal das Topo der „Deep Blue Sea“ etwas intensiver. Als ich dann noch die Videos von Dean Potter und seiner Free Base Begehung der Route sah, wuchs langsam die Faszination für diese Route.
In der Sylvesternacht des selben Jahres wurde dann zwischen reichlich Zugeproste eine Abmachung getroffen: wir machen die „Deep Blue Sea“! Wow, allein der Name hatte es mir angetan. Dass die Route kein Spaziergang wird, war klar, zumal ich nach den OP’s immer noch nicht mein altes Leistungsniveau hatte. Und so ging ich das erste mal in meinem Leben sogar regelmäßig Joggen und versuchte so viel wie möglich On Sight Klettern zu trainieren. Ich fuhr häufiger in die Pfalz, um lange Wege zu klettern, die auch im 9. Grad noch mal das Legen von Friends und Keilen verlangen. Und ich fing an, den Berg zu beobachten. Ständig. Täglich. Stündlich. Nein, nicht vor Ort, sondern per Webcam. Denn dank des Skigebietes auf der Scheidegg gibt es dort zwei Panorama Cam’s, die ein ziemlich gutes Bild liefern. Und so wurde ich allmählich Experte und begann meine Kletterpartner zu nerven. Jedes noch so kleine Wetterfenster konnte die Chance für einen Versuch bringen. Das kostete reichlich Nerven. Denn die „Deep Blue Sea“ hat ihren Namen von den blaugrauen Wasserstreifen, durch die sie führt. Und woher kommen Wasserstreifen am Fels? Richtig, von reichlich Wasser! Und das kommt vom Schnee, der meist auf dem Pfeiler kopf des Genfer Pfeilers liegt. War für die klassische Heckmair Route am Eiger der Herbst die beste Jahreszeit, weil das Eis alle Steine zusammen hält, so muss das Eis für die Route „Deep Blue Sea“ ganz weggeschmolzen sein, sonst ist die Route kaum kletterbar. Und das dauert meist. Sprich: die erste gute Wetterperiode im Jahr verstreicht, ohne das es die Chance auf einen Versuch gibt, weil alles noch nass ist. Und bei der zweiten Gutwetter-Periode muss man dann zuschlagen, denn eine dritte kommt nie oder selten. Das klappte 2013 nicht, weil entweder der Kletterpartner nicht fit genug war, absagte oder zu spät zusagte, als ich selber schon nicht stornierbare Termine angenommen hatte. Als ich dann Felix Mehne kennen lernte, wurde mir schnell klar: das ist endlich der richtige Mann! Klettert nicht nur stark, sondern ist vor allem zuverlässig und bereit, zur Not auch alles stehen und liegen zu lassen. Als er dann noch den Test am Hübichenstein bestand, in dem er aus der brüchigsten 9- in ganz Norddeutschland keinen einzigen Griff rausriss, war die Sache für mich klar: jetzt könnte es endlich klappen! So fuhren wir dann 2014 bereits Anfang Juni nach Grindelwald, der Wetterbericht war gigantisch gut. Allerdings wurden unsere Zweifel bestätigt, es war viel zu früh im Jahr. Aber wir sahen es als Logistik-Training: Biwak- platz auskundschaften, Ausrüstung testen, uns aufeinander einspielen. Der Weg zum Einstieg war lebensgefährlich: nasse, abschüssige Felsplatten, auf denen Geröll oder Schnee lag. Und die Abseilstelle, die zur „Deep Blue Sea“ führt, fanden wir erst gar nicht, sie lag noch unter dem Schnee vergraben. Es war trotzdem ein tolles Erlebnis und ein weiterer Test. Denn nach dem morgendlichen Abstieg von unserem Biwak- platz am Eiger waren wir am Nachmittag noch am Hintisberg, mit Blick auf den Eiger, und kletterten noch eine tolle 7a+ mit 6 Seillängen. Als wir die Abseilstelle im senkrechten Gras nicht fanden und es langsam dunkel wurde, machten sich meine Frau Tweet und unsere Freunde langsam Sorgen. Wir hatten auch Sorgen: ab 21:00 Uhr lief das Fussballspiel Deutschland – Ghana, und das wollten wir eigentlich gemütlich bei Bier und Abendbrot genießen und keinesfalls verpassen! Wir haben es dann zwar noch zur zweiten Halbzeit geschafft, aber der Rest der Crew, die fast die Bergwacht gerufen hätte, konnte unsere gute Laune nicht mehr teilen. Ups!
2015 war es dann endlich soweit, leider im Jahr des Todes von Dean Potter, dem Mann, der mich mit seiner Begehung der „Deep Blue Sea“ so fasziniert und inspiriert hatte. Für ihn endete sein Weg 2015, für uns ging es aber endlich los: und zwar deutlich eher, als wir es erwartet hatten! Ende Juni, Anfang Juli zeigte der Wetterbericht das erste Schönwetterfenster an. Und: unglaublich, der Pfeiler war bereits komplett trocken! Wie immer passte es natürlich nicht in den Zeitplan. Job und private Pläne hat man ja immer. Aber genau darauf kommt es bei diesem Berg an. Entweder, man hat die Zeit, Monate lang am Berg zu warten, wie es einst Dean Potter gemacht hat, oder man beobachtet den Berg mit der Webcam und lässt dann alles stehen und liegen. Aber selbst meine Kunden hatten Verständnis, als ich ihnen kurzfristig absagte: die Eiger Nordwand kennt zum Glück fast jeder! Und so waren wir pünktlich zum Start der Gutwetter-Periode am Eiger. Die Anfahrt war wie immer lang und diesmal auch heiss: ganz Europa schwitzte unter der Hitzeglocke bei fast 40 Grad im Schatten. Eiger-Wetter! Man glaubt es dann nicht, wenn man in der Wand ist und im Fleece Pullover bei 15 Grad und leichtem Wind klettert, dass unten im Tal über 30 Grad herrschen. Die Eiger Nordwand ist eine andere Welt! Normalerweise ist solche Hitze in den Bergen nicht ungefährlich, da es meist am Nachmittag Wärmegewitter gibt. Aber wir erwischten genau den Tag, an dem ein nur sehr geringes Gewitter-Risiko angesagt war. Und konnten es trotzdem kaum glauben, dass wir am Nachmittag kurz mal in den Wolken waren und ein paar leichte Tropfen abbekamen. Diese Wand hat ein ganz eigenes Mikroklima, das man erst versteht, wenn man den Berg wirklich studiert.
Unser Ziel war natürlich ein Rotpunkt-Versuch. Vom OnSight träumten wir zwar, aber nachdem wir in einem Video gesehen hatten, dass selbst Robert Jasper sich für seinen OnSight anstrengen musste, war uns klar dass das wohl recht utopisch wäre. Aber da der Wetterbericht keinen Anlass zur Sorge gab und der 02. Juli 2015 außerdem zu einem der längsten Tage des Jahres gehörte, beschlossen wir, diesen voll und ganz zu nutzen und notfalls Seillängen auch mehrfach zu probieren. Trotzdem ich Langschläfer bin, war ich an diesem Tag mal vor Felix auf den Beinen. Und so konnten wir unseren Biwakplatz am Rotstock bereits um 6:00 Uhr verlassen und erreichten nach einem 40-Minuten-Anstieg die Abseilstelle auf der Schulter. Diesmal fanden wir sie sofort. Hier seilt man 3 Seillängen über die etwas leichtere „Freakonomics“, 7a+ ab und quert dann zum Einstieg der „Deep Blue Sea“, wo wir dann um Punkt 8:00 Uhr mit der eigentlichen Kletterei begannen. Da Felix der Stärkere von uns beiden war, hatte ich mir die erste Hälfte der Route erbeten. Wechselführung halte ich so nah an der Leistungsgrenze in langen Routen nur für bedingt geeignet, wenn man auch als Nachsteiger versucht, alles Rotpunkt zu klettern. Er war damit einverstanden und so legte ich los. Es beginnt „gemütlich“ mit 6b+. Und erstaunlicher Weise, nachdem man sich etwas gewöhnt hatte an das meist nach unten geschichtete Gestein, lief es ganz gut. Den ersten kleinen Schock bekam ich dann in der zweiten Seillänge. Da stand was von 15m Runout. OK, das drückt schon mal auf die Psyche, auch bei nur 6b+. Und kaum 2m über dem Haken, an dem der lange Runout losgeht, bricht mir ein Griff weg. Mikroleiste, hatte ich extra ausgesucht weil ich DAS bei dem Wackelzug vermeiden wollte. Puh, grade noch abgefangen, noch sind wir Rotpunkt unterwegs, allerdings ist es danach mit der inneren Ruhe etwas dahin. Der rettende Sprung zum Stand ging dann auch gut. Und Felix passiert hier dasselbe, auch ihm bricht ein Griff weg, direkt vor dem Stand. Oh, oh, soll das etwa der viel gepriesene Verdon-Fels am Eiger sein? Der Beginn der dritten Seillänge lässt mich nun wirklich zweifeln: 7a, es geht über ein ordentlich ausladendes Dach. Und darunter klettert man in mehligem, brüchigen, mit Geröll belegtem Fels. Super! Aber irgendwie geht es dann doch und ich stehe plötzlich und mit weniger Anstrengung als erwartet über dem Dach. OK, das lief gut und plötzlich ist auch der Fels nicht mehr so gruselig. Ein fettes Band, das auch zum Biwak reichen würde, und noch einmal wird es schwer. Und schwups rutscht das erste Mal der Fuß weg und ich hänge im Seil. Mist! Zurück zum Stand? Ne, das kostet zu viel Zeit und ich starte einfach nochmal vom No Hand Rest auf dem breiten Band. Ok, das könnte die Ethik Kommission vielleicht grade noch so durchgehen lassen, lasse ich mir von unten von Felix bestätigen. Er kommt dann ohne Sturz im Nachstieg durch, super! Bisher lief alles fast besser als erwartet, wird sind fast ein bisschen euphorisch. Sollte es vielleicht doch mit unserem Rotpunkt klappen? Doch nun wird es ernst: die erste 7b+ Seillänge liegt an. Und die endet bereits am zweiten Haken für mich im Seil. OK, ist auch die Schlüsselstelle. Also klettere ich die Seillänge zu Ende und mache fleißig Tickmarks. Ablassen, 30min. Pause und ein neuer Versuch. Diesmal komme ich zwar 1-2 Haken weiter, merke aber sehr schnell, dass ich jetzt mit einem anderen Problem kämpfe: ich habe bereits seit der zweiten Seillänge Krämpfe in den Armen. Wie kann das sein? 6b+ strengt mich ansonsten nicht wirklich an. Und so langsam dämmert es mir: Flüssigkeit? Mhm, eigentlich habe ich mir Mühe gegeben viel zu trinken. Sogar Magnesium geschluckt (nicht das aus dem Chalkbag). Im Nachhinein sind wir uns beide sicher, da auch Felix später mit Krämpfen zu kämpfen hat: die Höhe macht uns mehr zu schaffen als wir erwartet haben. Der Genfer Pfeiler endet auf über 3000m, wenn man direkt aus der norddeutschen Tiefebene kommt, dann haut einen das um! Hatte ich ja vor 29 Jahren schon einmal erlebt, sehr schlau! So steige ich die Seillänge dann zu Ende und hoffe, das Felix mit meinen Tips und Tickmarks die Seillänge durchkommt. Doch ihm geht es wie mir, auch ihn haut es am Anfang gleich raus, schade. Nach einer kurzen Pause ist dann Felix dran. „Nur noch“ 7a+, aber nachdem, was wir über die Seillänge gelesen haben, eine der anspruchsvolleren. Zumal man bedenken muss, dass bei Seillängen von 30-45m nie mehr als 4-7 Haken stecken, der Rest muss selbst abgesichert werden. Meist mit Friends in Querrissen, Klemmkeile lassen sich so gut wie gar nicht unterbringen. Und so fliegt auch Felix in seiner ersten Vorstiegslänge raus, oh ha, da hatte ich nicht mit gerechnet, dass es so hart wird! Auch ich muss an der Stelle hängen im Nachstieg, da auch ich den entscheidenden Griff nicht gleich sehe. Und so geht es dann Seillänge für Seillänge weiter, jeder von uns hat immer den ein oder anderen Hänger. Die Route ist extrem schwer zu lesen und die Haken sind immer so weit auseinander, dass sie nur einen vagen Anhaltspunkt bieten, wo es genau lang geht. Und da nicht wie im Klettergarten alles geticktmarkt ist, macht man es sich alles viel schwerer als es eigentlich ist. Ich bin dann auch derjenige, der Felix anbietet, durch den Notausstieg auszukneifen, ich bin fix und alle nach meinen vier Vorstiegslängen und der zweimal gekletterten 7b+ Seillänge. Aber Felix ist noch motiviert und ich muss jetzt ja nur noch nachsteigen, das sollte gehen.
In der siebten Seillänge wird es noch mal erlebnisreich. Nun ja, Aktion herrscht an diesem Berg eigentlich schon die ganze Zeit. Ob es der Helikopter ist, der im ersten Morgenlicht die ersten Bergsteiger nach einem Biwak aus der Wand rettet, oder die Eislawinen, die von der Jungfrau oder dem Eigergletscher abgehen. Ab und an kracht es auch mal irgendwo bei uns in der Wand. Es ist halt Hochsommer, und der Frost, der ansonsten diesen Schotterhaufen Eiger zusammen hält, ist nicht mehr da. Stattdessen warme Temperaturen, die zwar toll zum schwer Klettern sind, den Berg aber ächzen und stöhnen lassen. Und als Felix in die siebte Seillänge startet, einen nach unten absteigenden Quergang im Grad 6c+, rumpelt es mehr und mehr unterhalb des breiten Bandes, von dem aus wir eingestiegen sind. Meine Aufmerksamkeit wandert immer mehr von Felix weg, der sich ganz tapfer nach dem Quergang die anschließende 7a+ Seillänge hoch kämpft, als plötzlich unterhalb unseres Einstiegsbandes ein ganzer Felspfeiler kollabiert. Bergsturz nennt man das wohl. Reichlich unheimlich diese Wand! Wir fühlen uns trotzdem halbwegs sicher, der Genfer Pfeiler hat nicht gewackelt und ist ausserdem so überhängend, das jeder Stein, der von oben käme, irgendwo weit draussen an uns vorbei segeln würde. Einen Schreck bekommen wir nur einmal, obwohl wir es natürlich wissen müssten: das gute Wetter hat auch die Bassjumper angelockt, und einer fliegt ganz in unserer Nähe vorbei. Zisch, und schon geht der Fallschirm auf. Was uns mal wieder an Dean Potter erinnert. Hier oben solo zu klettern, wow, allergrößter Respekt!
Unsere Rotpunkt-Ambitionen enden dann komplett in der letzten 7b+ Seillänge, denn es wird langsam dunkel. Und die Stirnlampen liegen beide an der Abseilstelle. Dass wir so lange brauchen würden, hatten wir einfach nicht bedacht. Als wir dann am Gipfel des Pfeilers ankommen, ist es bereits dunkel. War bei meiner ersten Eiger-Begehung 1986 das Biwak eingeplant, ist es dieses Mal nicht vorgesehen. Zum Glück haben wir statt einem Walkman wie damals diesmal ein Smartphone dabei. Und so wird meine Frau Tweet, die geduldig am Biwakplatz auf uns wartet, erst einmal mit einem Anruf verständigt und beruhigt. Wow, wie cool ist das denn? Ich stehe im Schotter von Mordor, denn so sieht es ausser im Genfer Pfeiler überall am Eiger aus, und rufe meine Frau an! Das hätte sich vor 29 Jahren, als ich das erste Mal hier war niemand träumen lassen. Und ich hätte mir nie träumen lassen, das ich mit 48 Jahren noch einmal hier oben stehen würde, nach einer wesentlich schwereren Route als der klassischen Heckmair Führe.
Der Abstieg läuft dann besser als erwartet. Wir haben Tweet gesagt, dass wir versuchen abzusteigen, uns aber extrem viel Zeit lassen werden. Das habe ich zumindest in all den Jahren gelernt, auch aus den Unglücken anderer: im Abstieg jeden Schritt dreimal überlegen! Was kann denn noch schlimmer werden, wenn es eh schon dunkel ist? Nichts, vorausgesetzt das Wetter ist gut. Und zur Not kann man warten, bis es wieder hell wird. Das sage ich auch Felix, der sich etwas sorgt betreffend eines Biwaks. Herman Buhl hat in 8000m Höhe die Nacht im Stehen überlebt, da werden wir ja wohl eine laue Sommernacht am Eiger überstehen. Die lange Querung vom Pfeiler- kopf weg geht noch gut im Dunkeln, ich brauch zwar inzwischen eine Lesebrille, aber in der Ferne und im Dunkeln funktionieren meine Scheinwerferchen noch ziemlich gut. Die Abseilstelle in der Rinne in der Westflanke suchen wir dann ein Weilchen mit der Taschenlampe vom iPhone, aber dann geht alles wieder gut und wir erreichen schließlich das Depot und die Abseilstelle der „Freakonomics“, wo wir am Morgen aufgebrochen waren. Es folgt noch der fiese Abstieg über die glatten Platten, nicht gerade ein Vergnügen im Dunkeln und nicht leicht zu finden. Aber schließlich erreichen wir unsere Zelte und Tweet bereitet uns ein leckeres Travellunch Menü. Naja, nach so einem Tag isst man fast alles. Ihr Tag war ebenfalls lang, ausgefüllt mit Fotografieren und Zeichnen und einer etwas skurrilen Begegnung auf 2600m Höhe, an unserem Zeltplatz. Denn da stand, kurz nach meinem nächtlichen Anruf, plötzlich ein Hund vor ihrem Zelt. Meinte sie. Und da sie Hunde liebt, begrüßte sie ihn wie alle Hunde mit einem freundlichen „Hey doggi“. Nur was macht ein Hund nachts auf 2600m Höhe, weit, weit weg von jeder menschlichen Behausung? Also stieg sie, mit einem Löffel bewaffnet, aus dem Zelt. Denn auch durch ein mehrmaliges „schuu, schuu“ ließ er sich nicht vertreiben. Wir glauben, auch nach etwas Recherche, dass es vermutlich ein Wolf war. Ein Bernhardiner war es jedenfalls nicht, er hatte kein Fass um den Hals.
Und so stiegen wir dann am nächsten Tag zur Station Eigergletscher ab, nahmen den Zug nach Grindelwald und gelangten wieder unter die Hitzeglocke Europas, aus der wir für kurze Zeit entflohen waren in eine komplett andere Welt. Mit gemischten Gefühlen, denn vom geplanten Rotpunkt war nicht viel übrig geblieben. Und doch waren wir natürlich stolz, dieses Abenteuer überstanden zu haben. Sollen wir noch mal hingehen? Felix hat ganz klar nein gesagt. Es ist nicht die Route selber, die es so anstrengend macht, es ist die Logistik und das ständige Stand By das so fordert. Das auf den Tag X fit sein müssen und nicht wissen, wann der Tag X kommt. Das alles stehen und liegen lassen müssen, wenn es dann soweit ist. Lebt man in der Schweiz, ja. Lebt man in Hamburg, bleibt der Eiger vielleicht doch ein einmaliges Erlebnis. Oder eben ein zweimaliges Erlebnis, wer weiß?
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