Yosemite – El Capitan – The Shield
Date
1993
Category
kletternAbout This Project
Im Schatten des Haulbags
Durchsteigung der 1000 Meter hohen Granitwand des El Capitain im Yosemite Nationalpark, USA
Klettern hat die verschiedensten Spielformen. Man kann es an kleinsten Blöcken betreiben, ohne jegliche Hilfsmittel, oder man kann vier Säcke á 40 Kilogramm zusammenpacken und sie 1000 Meter eine der steilsten Granitwände der Erde hochziehen. Und warum das Ganze? Diese Frage sollte man sich besser nicht stellen. Ich jedenfalls beantwortete sie für mich mit dem Satz “für Fotos”. Und die sollten diesmal möglichst gut werden. So gesellte sich zu dem riesigen Berg an Ausrüstung auch noch eine komplette Hasselblad- und Minolta-Ausrüstung hinzu. 40 Liter Wasser, Berge an Haken, Klemmkeilen, Friends und Karabinern wanderten in die Haulbags. Unser Ziel: der sog. Shield am El Capitain, der wohl kompakteste und überhängendste Wandteil dieses Granitkolosses. Meine Kletterpartner sind John und Tod aus Santa Barbara. Beide arbeiten als Verkaufsingenieure. Ein eh gutbürgerlicher Job. Man würde sie nicht wieder erkennen, wenn man sie Marihuana rauchend in ihrem Pickup Truck in Richtung Felsen fahren sieht. Sonnenbrillen, Shorts und das californische “easy going” Lächeln auf ihrem Gesicht sehen sie aus wie gerade aus dem Reinhard Karl Buch entstiegen. Und zu den Felsen, da wollen sie jetzt ziemlich schnell hin. Denn im Gegensatz zu mir, der ich das Yosemite Valley von früheren Besuchen her kenne, ist es für die beiden ganz neu, obwohl sie doch die Amerikaner sind und nur 6 Autostunden davon entfernt leben. Noch ein ganzer Tag vergeht mit Ausrüstung packen. Dann geht es los. Die Haulbags sind so schwer, dass wir sie kaum zum Einstieg tragen können. Dort fallen uns beinahe noch zwei Fallschirmspringer auf den Kopf, die über die Wand des El Cap springen. Basejumping ist eigentlich verboten hier im Valley, daher springen sie bei Sonnenaufgang, wenn das Auge des Gesetzes noch schläft. Der Mythos beginnt. Das erste Drittel der Route, 10 Seillängen, laufen gemeinsam mit der Salathe, bis zu den Mammoth Terraces. So nennt man die Bänder, wo sich die Wege trennen. Die sind unser Ziel für heute. Doch 10 Seillängen können unendlich lang sein. Zum Glück sind diese Seillängen frei kletterbar, nicht schwerer als 5.11b, was nach UIAA einer 7+ entspricht. Meist ist die Kletterei entlang herrlicher Risssysteme jedoch nicht schwerer als 7-. Das Klettern selber ist nicht das Problem. Was sich beharrlich der Schwerkraft zu widersetzen scheint, sind die Haulbags. Ich bin der Erste der versucht sie nachzuholen. All mein Fluchen, Zerren und Pullen am Seil hilft nicht. Der schwerste von den Säcken will sich einfach nicht bewegen lassen. Also alle drei Mann im Einsatz. Zwei ziehen, einer jümart am Seil nebenher und schiebt. Wir wollen einfach nicht glauben, dass wir dieses Gewicht die gesamten 1000 Meter die Wand hochbewegen sollen. Doch man gewöhnt sich an alles. Schließlich pullen wir nur noch zu zweit, und John, der Kräftigste von uns, schafft es sogar manchmal allein. Am schlimmsten sind die geneigten Platten. Die Reibung macht die Haulbags doppelt schwer, sie verhaken sich und entlocken uns böse Flüche. Wer durch die Wüste will, muss verdammt viel haulen (Haulbags nachziehen). Die 40 Liter Wasser erscheinen uns wie ein Tropfen auf den heissen Stein. Der Wind, die Sonne und die harte Haularbeit trocknen uns aus wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Um Mitternacht erreichen wir die Mammoth Terraces, nach 19 Stunden Kletter- bzw. Arbeitszeit. Portaledges aufbauen und nur noch schlafen. Doch die Nacht ist kurz. Bei Sonnenaufgang geht es bereits weiter. Der zweite Tag will nicht so recht laufen. Wir sind noch zu erschöpft vom Vortag. Normalerweise seilt man wieder ab von den Mammoth Terraces, deponiert vorher die Haulbags, und steigt frisch gestärkt nach einem Rasttag wieder an den fixierten Seilen auf. Doch John steht wie unter Strom. Einmal in der Wand, ist er nicht mehr zum Abseilen zu bewegen. So gelingen uns an diesem Tag nicht mehr als 4 Seillängen, und zwar in 16 Stunden! Aber es ist auch der erste Tag mit technischem Klettern. Wir müssen uns erst noch mit dem ganzen Hakengedengel einarbeiten. Wieder eine Nacht in der Wand. Es ist für uns alle der erste richtig grosse Bigwall. Und wir lernen noch, z.B. dass man in eine Wüste keine Salzcracker mitzunehmen braucht. Denn die haben im Mund ungefähr den selben Effekt wie ein Sack Mehl: entweder man erstickt daran, oder man führt sich schnellstens Flüssigkeit zu. Und die ist hier äusserst kostbar. Also fliegt an diesem Abend alles trockene Essen die Wand hinunter. Wir entdecken, dass mexikanische Tortillas hervorragende Frisbeescheiben abgeben. Unser Wasser ist genau rationiert. Für jeden nicht mehr als 2 Liter am Tag. Das ist überhaupt nichts bei dieser Schwerstarbeit. Der dritte Tag. Nun geht es richtig los. Wir sind am Beginn des Shields. Zwei traumhafte Verschneidungsseillängen im Grad A2 und A3 bringen uns unter das grosse Dach, das in den eigentlichen Shield führt. Ich bin an der Reihe mit Vorsteigen. Oh weh! Es blicken mich etwa 10 m waagerechte Dachkletterei an. Stück für Stück arbeite ich mich nach außen. Der starke Wind, der eingesetzt hat, bringt dabei alle Seile, Steigleitern etc. durcheinander. Ich bin am Fluchen und mir graust vor der Ausgesetztheit. Schließlich der ersehnte Standplatz. Tod jümart nach und entfernt die von mir gelegten Sicherungen, während ich die Haulbags nachziehe. Dies wird nun immer einfacher, denn sie hängen von nun an nur noch frei in der Luft. John lässt sie mit einem Hilfsseil hinaus in die Leere. Tod, die Haulbags und ich sind am Standplatz. Wer noch fehlt ist John. Und der hat noch ein kleines Abenteuer vor sich. Wir sind 30 Meter über ihm, was nicht weiter schlimm wäre, nur trennen uns auch noch etwa 15 horizontale Meter. Als John sich am Standplatz ausklinkt, macht er wohl den Flug seines Lebens. Bungeejumping ist nichts dagegen! ca. 25 m schiesst es ihn waagerecht in die Luft hinaus, unter sich 600 Meter bis zum Wandfuß, nur mit E den Jümarn mit dem Seil verbunden, welches zu uns hinauf führt. Bei Einbruch der Dunkelheit stehen wir unter der sog. “Groove”, einer A3 Seillänge, die nur mit Copperheads und Rurps abzusichern bzw. zu erklettern ist. Denn als Sicherung kann man diese kleinen Metallplättchen wirklich nicht mehr bezeichnen. Wir müssen aber noch durch diese Seillänge, denn der Standplatz reicht nicht zum Aufhängen von drei Portaledges. Also mit Stirnlampe ab in eine der Schlüsselseillängen dieser Route. “You are crazy”, aber was hilft es! So schwer ist es dann aber doch nicht, da vieles Material steckt. Und im Dunkeln brauche ich mich nicht darüber zu ängstigen, wie schlecht diese Haken sind, da ich sie kaum erkennen kann! Nur nicht stürzen, dann würde man alles herausreissen, Reißverschlussprinzip nennt man das. Das Stück Fels an dem wir dann unsere Portaledges aufhängen ist das Glatteste, das ich in meinem Leben gesehen habe. Man stelle drei bis vier Fernsehtürme übereinander, steige über die Brüstung, befestige sein Portaledge an der Betonwand und gehe schlafen. Doch zuerst schlürfen wir noch das Wasser aus den Thunfischdosen, die es zum Abendbrot gibt. Köstlich! John und Tod rauchen etwas selbst angebautes Dope, und wir schaukeln uns in den Schlaf. Noch nie in meinem Leben habe ich beim Aufwachen eine derartige Tiefe beim Blick über die Bettkante gesehen. Es ist atemberaubend, unglaublich, verrückt. Nur die Morgentoilette ist äusserst unangenehm, oder habt ihr freihängend schon einmal in eine Papiertüte gesch…? Beim Frühstück passiert dann das erste Missgeschick des Tages. Tod’s Portaledge bricht, und er fliegt mit samt dem Frühstück in die Tiefe. Nur das Tod angeseilt ist und das Frühstück nicht! Tod jümart die acht Meter wieder zum Stand hoch, das Frühstück fliegt 800 Meter bis zum Einstieg, wo es beim aufschlagen die ersten Frühaufsteher ärgert. Der vierte Tag sieht mich dann in den berühmten “Tripple Cracks” mit dem “Cheader Stick” (übersetzt: “Betrügerstock”) ganz unrühmlich herumfuchteln. Eine selbst konstruierte, lange Zeltstange, an deren Ende sich ein sog. Fiffihaken befindet. Diesen hänge ich stets ca. 6 Meter oberhalb in die nächste erreichbare Sicherung ein, und hangle mich dann mehr oder weniger daran hoch. Dies spart Klettermeter und Zeit. Doch die Tripple Cracks, diese drei haarfeinen Risse sind der Grund warum ich hier bin. Am nächsten Standplatz angelangt, ziehen Tod und John die Seile ab, um die Seillänge noch einmal vorzusteigen. Denn jetzt ist Fototime! Endlich bin ich mit dem Licht und der Einstellung zufrieden, alle sind wieder am Stand und es kann weitergehen. John hängt sich das Material um. Plötzlich fängt es an zu rasseln. Nein, keine Klapperschlange, der Materialgurt hat sich geöffnet und unser gesamtes Hakensortiment ist gerade, dabei dem Weg unseres Frühstücks zu folgen. Jeder greift was er noch greifen kann. Nicht dass es uns beunruhigt hätte gerade 300,- DM an Haken verloren zu haben, aber um ein Haar hätten wir um Hilfe rufen müssen. Denn ohne Haken kommt man hier oben nicht wieder aus der Wand heraus. Abseilen geht nicht, es ist so überhängend, dass man bereits nach den ersten 20 Meter den Fels nicht mehr berühren könnte. So müssten die Retter also auch erst hier herauf klettern. Bis dahin wären wir dann wohl verdurstet und verhungert. Doch die wenigen geretteten Haken müssen reichen. Die letzte Seillänge an diesem Tage führe ich. Und als meine Nase sich über die Kannte unseres letzten Biwakplatzes schiebt, schreie ich vor Freude. Denn wir können nicht nur Sachen in dieser Wand verlieren, sondern auch finden. Ein guter Geist hat eine Flasche mit 2 Liter Wasser hinterlassen. Brackig und abgestanden, doch es schmeckt für uns wie Champagner. Die letzte Nacht ist traumhaft. Ein breites Biwakband wie aus dem Bilderbuch, wir können endlich wieder auf zwei Beinen stehen ohne in irgendwelchen Strickleitern zu balancieren. Ein dicker Joint und der letzte Schluck aus unserer Plastik Tequila-Flasche sind der Lohn für diesen Tag. Die Headwall liegt unter uns und der Gipfel ist nah. Am fünften Tag nachmittags erreichen wir den Gipfel oder besser die sich so nennende Hochfläche. Runter mit den Klamotten, dem ganzen Geklimper und sich unangeseilt ausstrecken. Doch der Abstieg steht leider noch aus. Zwar ein ebener Weg, aber 13 Kilometer lang, was mit einem Haulbag mit dem Tragekomfort eines Seesacks kein Vergnügen ist. Die Haulbags haben sich zwar von Vier auf drei reduziert, aber jetzt wiegen sie mit den verteilten Lasten wieder jeder 40 Kilogramm. Während des Abstiegs wird es dunkel und meine Knie tragen einfach nicht mehr. Mehrfach falle ich der Länge nach hin. Ich habe unbeschreibliche Schmerzen beim Gehen. Doch schließlich erreichen wir das Camp. Es ist schon weit nach Mitternacht. Wir sind nur noch müde und glücklich. Und warum das ganze Abenteuer? Ach ja, ich hatte ein paar Fotos machen wollen. Dass der Weg zum Drehort auch immer so umständlich sein muss.